Prüfers Kolumne Was ersetzt das Enthemmungsritual der Weihnachtsfeier?

Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Die Betriebsweihnachtsfeier, so viel steht fest, fällt aus. Man darf sich nun nicht mehr auf Kosten des Arbeitgebers eine Nacht lang fürchterlich betrinken. Man darf sich nicht mehr zu später Stunde auf der Tanzfläche danebenbenehmen. Man darf sich nicht mehr am Buffet überfressen. Man fragt sich, für was man sich eigentlich das ganze Jahr über angestrengt hat. Was soll das für ein Weihnachten sein, ohne Betriebsweihnachtsfeier?
Nun haben solche Feten gar nicht viel mit Weihnachten zu tun. Sie sind nur insofern mit einem „Fest der Liebe“ in Verbindung zu bringen, als dass irgendwann Menschen miteinander knutschen. Auch, wenn sie das besser nicht tun sollten. Praktisch niemand denkt an oder redet über die Geburt Jesus Christus. Vielmehr handelt es sich um Enthemmungsrituale.
Einmal im Jahr sollen Hierarchien fallen gelassen werden, miteinander tanzen und das Gefühl haben, tatsächlich zusammen in einem Unternehmen zu arbeiten. Das soll den sozialen Frieden fördern. Wer gemeinsam Glühwein trinkt, ruft vielleicht weniger zum Generalstreik auf. Deshalb wissen Betriebe, wie wichtig es ist, einmal im Jahr mit den Mitarbeitern auf den Putz zu hauen.
In der „Süddeutschen Zeitung“ habe ich gelesen, dass es nun den Trend zu Homeoffice-Weihnachtsfeiern gibt. Ein Start-up bietet dafür „Christmas Boxen“ an: Je nach Bedarf und Budget kann man den Mitarbeitern Snacks oder etwas bis hin zur Weihnachtsgans nach Hause liefern lassen. Dann können alle vor dem Bildschirm miteinander Weihnachten feiern. Aber ist das das, was man sich schon immer gewünscht hat? Vor dem Bildschirm essen und per Kamera von Kollegen beobachtet werden?
Andere Firmen planen virtuelles Wichteln oder gemeinsame Spiele am Computer. Auch bei Microsoft gibt es dieses Jahr keine Feier. Dafür hat man sich etwas Besonderes einfallen lassen. Es gibt einen ganzen virtuellen Weihnachtstag. Mit einer Ansprache der Chefin, Online-Backkursen und sogar Yoga-Sessions. Man kann sich in Chatrooms mit anderen zum Plaudern verabreden. Die Firma schickt dafür sogar Glühwein ins Haus. Das eröffnet natürlich die Möglichkeit, sich im Chatroom zusammen mit den Kollegen kräftig zu besaufen.
Wer aber schon einmal eine Corona-Zoom-Party mitgemacht hat, weiß, dass dies einen gänzlich anderen Charakter hat als das herkömmliche Betrinken. Man kann sich nicht in eine Ecke zurückziehen und sich diskret volllaufen lassen, man ist die ganze Zeit „on display“. Es ist eher wie ein Business-Talk, bei dem man langsam das Bewusstsein verliert. Aber immerhin: Man weiß danach immer, wie man nach Hause kommt – und wacht auch garantiert nicht unangenehm unbeabsichtigt neben einem Kollegen auf. Ich denke, das wird sich durchsetzen.
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