Prüfers Kolumne Wenn der (gefühlte) Hochstapler der bessere Chef ist

Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Ich habe über das Impostor-Syndrom gelesen. Wer daran leidet, hält sich selbst für einen Hochstapler. Man hat etwa das Gefühl, einer Aufgabe im Unternehmen nicht gewachsen zu sein. Mitunter komplett unbegabt zu sein und nur durch Zufall oder falsche Annahmen der Umwelt an die jeweilige Position gekommen zu sein.
Jederzeit rechnet man damit, dass der ganze Schwindel auffliegt, man entblößt und blamiert dasteht – während Kollegen und Vorgesetzte darüber den Kopf schütteln, wie es kommen konnte, dass es eine derart unbegabte Person so weit bringen konnte.
Unter Täuschung aller. Wer am Impostor-Syndrom leidet, der freut sich nicht wirklich über Lob, weil das nur bedeutet, dass man anschließend noch enttäuschter sein wird, wenn einmal der ganze Schwindel auffällt.
Psychologen haben das Syndrom erstmals 1978 beschrieben. Damals dachte man, es beträfe nur Frauen, mittlerweile weiß man, dass auch Männer sich für unentdeckte Versager halten können. Die Ursache soll eine Fehlattribution sein. Wer vom Impostor-Syndrom betroffen ist, führt Misserfolge stets auf das eigene Versagen zurück. Erfolge werden dagegen dem Zufall zugeschrieben.
Man vermutet, dass Betroffene als Kind Erfahrungen gemacht haben, bei denen die Eltern etwa einem stets eingeredet haben, dass man ein Genie sei. Und man deswegen immer das Gefühl habe, das Normale genüge nicht. Man müsse eigentlich etwas Besonderes leisten. Das sollten sich Eltern merken, die ihre Kinder stets für alles loben: Später glauben die Kleinen dann, sie könnten gar nichts, nur weil sie nicht so grandios sind, wie die Eltern das geglaubt haben wollen.
Obgleich der Impostor-Syndrom-Betroffene meist nicht negativ auffällt. Im „Manager-Magazin“ konnte ich sogar lesen, dass jene Tiefstapler oft wirklich gute Führungskräfte seien. Sie streben nie danach, eine Teamleistung der eigenen Genialität zuzuschreiben.
Es ist über das Impostor-Syndrom allerdings auch nicht allzu viel bekannt, weniger jedenfalls als über den Narzissmus. Das liegt vielleicht daran, dass jemand, der daran leidet, keinen Schaden anrichtet.
In Gegensatz eben zu Leuten, die nichts können, sich selbst aber für Genies halten. Denen muss man erst einmal erklären, dass sie vielleicht doch nicht geeignet sind, etwa eine große Industrienation zu leiten. Wie man vom Impostor-Syndrom geheilt werden kann, ist nicht ganz klar.
Psychologen raten, man solle die Probleme akzeptieren lernen. Es kann auch helfen, Ängste abzubauen. Zum Beispiel, indem man den Betroffenen erklärt, dass man als unbegabter Hochstapler in Wahrheit nie zur Verantwortung gezogen wird. Man macht einfach immer weiter. Ich schreibe diese Kolumne seit 2013.
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