Prüfers Kolumne Wer lügt, kommt auch ganz gut weg: Die Wahrheit ist nicht immer leicht zu beweisen

Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Ich habe kein Problem mit der Wahrheit, ich brauche sie nur nicht bei jeder Gelegenheit. Immer wieder entdecke ich bei mir selbst, dass ich nicht mehr mit der ganzen Wahrheit um die Ecke komme, sondern eher mit einer editierten Version der Wahrheit, bei der ein paar Teile der Darstellung nicht allzu sehr betont werden.
Ich habe gehört, der Mensch lüge 200 Mal am Tag. Das wäre, vorausgesetzt, dass man im Schlaf nicht lügen kann, etwa alle fünf Minuten eine Lüge. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt alle fünf Minuten etwas sage. Dann müsste ich ja in der Restzeit umso mehr Lügen erzählen. Es hieße wohl, dass ich über weite Strecken des Tages nicht ein einziges wahres Wort sage.
Angeblich soll diese Zahl aber selbst eine Lüge sein. Eine andere These ist, dass man in einem zehnminütigen Gespräch etwa zwei bis drei Mal lügt, wenn man bei dem Gegenüber einen guten Eindruck hinterlassen möchte. Konservativste Untersuchungen gehen davon aus, dass die meisten Menschen etwa ein bis zwei Mal am Tag die Unwahrheit sagen.
Dabei gehört Lügen zur Grundausstattung eines Menschen, schon zwei- bis dreijährige Kinder beginnen damit. Insgesamt sollen Männer und jüngere Menschen etwas öfter, Frauen und Ältere etwas seltener lügen. Überhaupt seien es oft die Umstände, die Menschen zu Lügnern machen. Das kann ich bestätigen.
Die meisten Lügen erzähle ich, um kleine Versäumnisse zu decken, auf die ich aufmerksam gemacht werde. Wenn wir wollten, könnten wir viel mehr lügen. Denn wer lügt, dem ist normalerweise nicht so leicht auf die Schliche zu kommen. Das habe ich in der „Süddeutschen Zeitung" gelesen: Denn die Wissenschaft tut sich sehr schwer, zuverlässige Indikatoren dafür zu finden, dass Leute nicht die Wahrheit erzählen. Zum Beispiel glaubt man oft, dass die Menschen beim Lügen unruhig werden, aber das ist offenbar nicht der Fall.
Auch erfahrene Interviewer finden die Wahrheit nicht leichter
Manche Menschen sind beim Lügen extrem ruhig, andere zappeln, auch wenn sie die Wahrheit sagen. Es hängt viel damit zusammen, wie man die Gegenseite einschätzt. In dem Artikel stand auch, dass auch erfahrene Interviewer nicht besser als der Durchschnittsmensch dabei sind, herauszufinden, ob eine Aussage der Wahrheit entspricht oder nicht.
Nur CIA-Beamte sind darin erfolgreicher. Ich allerdings erzähle in der Regel keine Lügen, für die sich die CIA interessieren würde. Da ich im Alter immer vergesslicher werde, muss ich mir immer mehr Gründe einfallen lassen, warum irgendetwas nicht geklappt hat oder dass etwas auf dem Weg sei und dann gleich fertig werde, obwohl ich mich gar nicht erinnern kann, überhaupt einen Auftrag bekommen zu haben.
Wenn es einfach so weitergeht wie bislang, dann werde ich immer mehr Lügen erzählen, so weit, bis ich eigentlich ständig am Lügen bin, etwa 200 Mal am Tag.
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