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RusslandPutin will das Vertrauen der Deutschen in ihren Staat schwächen

Russland befindet sich nicht nur in einem Krieg gegen die Ukraine, sondern auch gegen Deutschland, meint Carlo Masala. Geführt wird dieser mit zahlreichen nicht militärischen Mitteln. 10.10.2024 - 17:00 Uhr Artikel anhören
Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften der Universität der Bundeswehr München. Foto: Skizzomat, Imago

Dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine eine sicherheitspolitische Bedrohung für Europa, ja für die gesamte internationale Ordnung ist, hat sich in den Köpfen der meisten Menschen hinlänglich festgesetzt.

Weniger präsent hingegen ist der russische Angriffskrieg, der bereits seit mehreren Jahren gegen den deutschen Staat und die bundesrepublikanische Gesellschaft geführt wird. Streng genommen ist es kein richtiger Krieg, da er nicht mit militärischen Mitteln geführt wird. Es rollen keine russischen Panzer in Rosenheim, es gibt keinen massiven Artilleriebeschuss auf Marburg, und russische Kampfjets werfen auch keine Gleitbomben über Düsseldorf ab.

>> Dieser Gastkommentar ist ein Beitrag zur großen Handelsblatt-Aktion „Zukunftsplan Deutschland“. Alle Texte finden Sie hier.

Und dennoch: Es ist ein Krieg, halt nur einer mit nicht militärischen Mitteln. Da werden systematisch und massiv Desinformationen in den Social Media gestreut, LNG-Leitungen in Schleswig-Holstein angebohrt, extremistische und populistische Parteien propagandistisch und vielleicht sogar finanziell unterstützt.

Da findet man Sprengstoff neben Nato-Pipelines, die durch Deutschland verlaufen. Massive Cyberangriffe sollen die deutsche Wirtschaft, aber auch Kommunen in Ostdeutschland lahmlegen. Und als ob das alles noch nicht genug wäre, werden auch Saboteure auf deutschem Staatsgebiet tätig.

Das alles dient nur einem Zweck: die demokratische Staatsform der Bundesrepublik zu unterminieren, das Vertrauen großer Teile der Gesellschaft in die Funktions- und Problemlösungsfähigkeit dieser Gesellschaft zu schwächen. Und zumindest was das Vertrauen der deutschen Gesellschaft in ihren Staat und seine Institutionen anbetrifft, scheint Wladimir Putin große Erfolge in diesem Krieg zu verzeichnen.

Nun ist es nicht so, dass die deutsche Politik dem ganzen russischen hybriden Treiben tatenlos zusieht. Viel wird dagegen unternommen, zumeist jedoch auf einer technischen Ebene, um Desinformationen zu bekämpfen, kritische Infrastruktur besser zu schützen, Cyberattacken zu vereiteln.

Gesellschaft muss resilienter werden – aber wie?

Aber das sind technische Maßnahmen, die zwar wichtig und notwendig sind und eine technische Resilienz schaffen, jedoch am zentralen Problem vorbeizielen: Wie schaffen wir es, dass die deutsche Gesellschaft mental resilienter wird?

Denn Resilienz ist – anders als Verteidigung – nur dann herstellbar, wenn die Bereitschaft zur Resilienz bei (fast) jedem einzelnen Bundesbürger existiert. Der Staat, auf all seinen Ebenen, kann die technische Voraussetzung dafür schaffen, dass eine resiliente Gesellschaft möglich ist – ohne die Bereitschaft seiner Bürger, resilient zu werden, wird er eine resiliente Gesellschaft jedoch nicht herstellen können. Somit ist Resilienz nur im Zusammenspiel und Zusammenschluss zwischen Staat und Bürgern zu erreichen.

Aber wie? Wie erhöht man die Bereitschaft der Deutschen, resilient zu werden, ohne dass man zugleich Panik schürt und Angstmache betreibt? Auf diese Frage hat bislang noch niemand eine Antwort gefunden, oder anders gesprochen: An diese Frage hat sich bislang noch niemand so richtig herangetraut.

„Niemand“ stimmt nicht so ganz. Boris Pistorius macht in seinen Reden und Auftritten immer wieder auf die Notwendigkeit aufmerksam, dass die Gesellschaft resilienter werden müsse. Seine Mahnungen verpuffen jedoch aus zweierlei Gründen. Zum einen unterstellt man einem Verteidigungsminister (richtigerweise), dass es ihm letzten Endes nur um mehr Geld für seine Bundeswehr geht. Zum anderen hat bislang kein prominentes Mitglied der Bundesregierung, allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz, sich Pistorius’ Aufforderung zu eigen gemacht.

Aber darum geht es. Die Schaffung einer resilienten Gesellschaft, eines resilienten Mindsets ist ein nationaler Kraftakt, der nur dann gelingen kann, wenn die gesamte Exekutive sich dessen annimmt.

Und hier ist der Kanzler gefragt, der in einer Rede darlegen muss, dass unsere Gesellschaft und die demokratische Staatsform gefährdet sind. Natürlich durch den hybriden Krieg, aber vor allem durch die Tatsache, dass den meisten Menschen in Deutschland nicht bewusst ist, dass Demokratien sterben können. Und zwar anders als autoritäre Systeme nicht durch einen großen Knall, sondern schleichend und langsam, quasi unbemerkt.

Verwandte Themen Russland Deutschland Wirtschaftspolitik Ukraine

Wir haben uns in den 75 Jahren der Existenz der Bundesrepublik Deutschland daran gewöhnt, dass wir in Sicherheit, Stabilität und einem wachsenden Wohlstand leben. Wenn wir als Gesellschaft resilient werden wollen, müssen wir einsehen, dass Demokratie verteidigt werden muss. Tagtäglich, durch jeden. Im Extremfall mit Waffen an der Ostflanke der Nato, im Normallfall im Gespräch mit den Zweiflern.

Die konkreten Handlungsempfehlungen:

    Es braucht eine Rede des Bundeskanzlers, in der die Notwendigkeit zum Auf- und Ausbau einer resilienten Gesellschaft deutlich erklärt und in der um die Mitarbeit aller Bürger geworben wird.Es braucht für dieses Vorhaben die Unterstützung aller relevanten gesellschaftlichen Gruppen (Kirchen, Gewerkschaften, Industrieverbände etc.).Es braucht konkrete bundesweite Initiativen, vor allem auf kommunaler Ebene, um die Bevölkerung in Resilienz zu schulen (technische Lösungen), aber auch, um das Bewusstsein für die Gefährdung unseres demokratischen Verfassungsstaates zu wecken.

Mehr: Friedensverhandlungen? Eine Äußerung von Wladimir Putin bietet Raum für Spekulationen

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