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Gastkommentar – Homo oeconomicus Bessere Bezahlung für Pflegekräfte: Was Deutschland von der Schweiz lernen kann

Unsere Politiker tun nichts, um Pflegeberufe attraktiver zu machen. In der Schweiz werden stattdessen Berufe neu bewertet, berichtet Uta Meier-Gräwe.
29.07.2021 - 08:36 Uhr Kommentieren
Wir müssen uns in Deutschland endlich darüber verständigen, was uns die sorgenden Berufe im Gesundheitswesen wert sind. Quelle: dpa
Pflegeberufe

Wir müssen uns in Deutschland endlich darüber verständigen, was uns die sorgenden Berufe im Gesundheitswesen wert sind.

(Foto: dpa)

Krankenpfleger Ricardo Lange wurde während der Corona-Pandemie durch eindrückliche Beschreibungen seines Arbeitsalltags auf Intensivstationen bekannt. Er findet, wie viele andere Pflegekräfte auch: Bis heute hat sich zu wening an den miserablen Arbeitsbedingungen und Löhnen geändert. Er hat deshalb im Vorfeld der Bundestagswahl Spitzenpolitiker gefragt, mit ihm über ihre Pläne zur Gesundheitspolitik zu diskutieren.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), CSU-Chef Markus Söder und der amtierende CDU-Vorsitzende Armin Laschet lehnten ab, was viel über den Stellenwert aussagt, den Beschäftigte in diesen systemrelevanten Sorgeberufen bei diesen Parteien einnehmen.

Immerhin: FDP-Vize Wolfgang Kubicki erklärte sich zu einem Gespräch bereit. Was er allerdings an Vorschlägen einzubringen hatte, war realitätsfern und ernüchternd. Mit dem Mantra von mehr Wettbewerb, dem Einsatz von Robotern in der Pflege und Entbürokratisierung soll der Gesundheitssektor attraktiv gemacht werden.

Dabei belegt eine aktuelle Neun-Länder-Vergleichsstudie einmal mehr, dass Jahre der Sparpolitik und des „New Public Managements“ in vielen Ländern Europas zu einem erhöhten Privatisierungs- und Prekarisierungsniveau geführt haben. Dadurch traf die Pandemie auf einen unterfinanzierten, unterbesetzten und unterbewerteten Sektor.

Flankieren will Kubicki sein neoliberales Konzept mit einer Werbekampagne für Berufe in der Kranken- und Altenpflege. Man müsse positive Beispiele transportieren, anstatt darüber zu diskutieren, wie schwer der Beruf ist. Dann würden sich auch wieder mehr junge Menschen dafür entscheiden, argumentiert er. Es gebe ja große Unterschiede zwischen den Einrichtungen.

Über die Dreistigkeit, dann ein Pflegeheim ausgerechnet aus dem dänischen Wohld als Best Practice zu empfehlen, staunte auch Intensivpfleger Lange. Der FDP-Vize sagte, er sei sich in diesem Pflegeheim wie auf dem Mittelbereich eines Kreuzfahrtschiffs vorgekommen.

Bessere Finanzierungsgrundlagen in Skandinavien

Kein Wort über die viel besseren Finanzierungsgrundlagen des Gesundheitswesens in den skandinavischen Ländern, die der entscheidende Grund dafür sind, dass Finnland, Norwegen und Dänemark im Ranking von 154 Ländern am besten durch die Pandemie gekommen sind.

Der Spitzenplatz von Finnland in diesem Corona-Ländervergleich geht daneben auch auf die Arbeit des jungen weiblichen Regierungsteams in Helsinki zurück, das von Anfang an auf transparente Kommunikation und nachvollziehbare Entscheidungen gesetzt hat.

Weit mehr als mit wohlmeinenden Ratschlägen von Kubicki, sich individuell zu wehren und einfach nicht mehr Patienten zu betreuen, als erlaubt ist, wäre dem Pflegepersonal geholfen, wenn man alle Berufe grundsätzlich neu bewerten würde, wie das schon seit den 1990er-Jahren in der Schweiz von renommierten Arbeitswissenschaftlern umgesetzt wird.

Deren transparentes, EU-konformes System wird bereits für über 3000 Funktionen und in über 100 öffentlichen und privatwirtschaftlichen Unternehmen verwendet, darunter in Spitälern und Pflegeheimen. Beschäftigte und Personalunternehmen sind hochzufrieden damit.

Soziologin Uta Meier-Gräwe Quelle: Gleichstellungsbüro Freiburg
Uta Meier-Gräwe

Uta Meier-Gräwe war bis 2018 Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Beraterin der Bundesregierung.

(Foto: Gleichstellungsbüro Freiburg)

Rund 30 Prozent der geschlechterneutral bewerteten Berufe, darunter Pflege- und Reinigungskräfte, Polizeiangestellte sowie Kellner und Kellnerinnen, werden seither mit jeder Neueinstellung besser bezahlt – mit Strahlkraft auf andere Unternehmen. Kein Wunder, dass viele Pflegekräfte aus Deutschland inzwischen in der Schweiz arbeiten.

Solche arbeitswissenschaftlichen Messinstrumente zur Bewertung von beruflichen Belastungen und Anforderungen gibt es inzwischen auch hierzulande; allerdings werden sie eben leider kaum eingesetzt.

Wir müssen uns in Deutschland endlich darüber verständigen, was uns die sorgenden Berufe im Gesundheitswesen, aber auch in der sozialen Arbeit, im Bildungs- und Erziehungssektor und in der Hauswirtschaft wert sind.

Zu hoffen bleibt, dass sich insbesondere die große Gruppe der Wählerinnen und Wähler über 50 im Bundestagswahlkampf mit dieser Problematik ernsthaft auseinandersetzt. Denn viele von ihnen werden in ihren kommenden Lebensjahren auf die Zugewandtheit und Professionalität von Care-Arbeiterinnen und -Arbeitern angewiesen sein.

Mehr: Gastkommentar: Das Anheuern von Pflegekräften in Osteuropa ist ausbeuterisch.

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