Gastkommentar – Homo Oeconomicus: Der Bauturbo könnte Bausünden wie in den Siebzigern hervorbringen

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich der Wohnungsfrage angenommen und erklärt, dass wir in Deutschland wieder so bauen sollten wie in den 70er-Jahren; an die 20 neue Stadtteile brauche es – auf der grünen Wiese. Dies sagte der SPD-Politiker im vergangenen November bei einer Veranstaltung der Zeitung „Heilbronner Stimme“.
Dabei gelten die meisten der damals errichteten, für modern erachteten Retortenstädte heute als Bausünden, viele auch als soziale Brennpunkte. Lange schon ist man klüger und baut Wohnungen vor allem innerorts, in städtebaulich integrierten Lagen. Entsprechende Möglichkeiten gibt es zuhauf. Die Bundesländer immerhin möchten Hauseigentümern künftig die Aufstockung und Umnutzung sowie den Ausbau von Dachgeschossen erleichtern. Das ist ein Anfang.
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Aber was ist mit den gemäß Statistischem Bundesamt knapp 900.000 längst genehmigten, nur noch nicht gebauten Wohnungen und den nach Angaben des Empirica-Instituts 1,7 Millionen leerstehenden? Ganz zu schweigen von laut Bundesamt für Bauwesen republikweit rund 60.000 Hektar, vergleichsweise einfach verfügbaren Brachflächen?
Der Gesetzgeber sollte endlich der Spekulation mit Baugenehmigungen und Bauland einen Riegel vorschieben. Der Grundsteuerrabatt für Leerstände gehört gestrichen. Wenn Wohnungen nicht vermietet sind, wird die Grundsteuer bis zur Hälfte erlassen,. Allerdings nur, soweit plausibel gemacht wird, dass der Leerstand nicht auf eigenes Verschulden zurückgeht. Dafür muss nur die Miete hoch genug angesetzt werden.
Wichtiges Zugeständnis verschwiegen
Und die Bestandsaktivierung müsste nicht bloß punktuell, sondern flächendeckend angegangen werden. Es geschieht insgesamt viel zu wenig bei der Hebung innerörtlicher Potenziale.

Mit den neuen 70er-Jahre-Stadtteilen soll es dagegen bald losgehen. Die Bundesregierung hat dafür eigens den „Bau-Turbo“-Paragrafen 246e ersonnen und ihren Fraktionen zur zeitnahen Verabschiedung empfohlen.
Damit Neubauten und Vororte demnächst im großen Maße entstehen, sollen Investoren künftig ganz schnell, nämlich ganz ohne Bebauungsplan bauen dürfen. Eine überzeugende Präsentation vor dem Bürgermeister oder Gemeinderat – und los geht’s.



Ein wichtiges Zugeständnis sei nicht verschwiegen: Die Kommunen erhalten zwei Monate Bedenkzeit und können auch nein sagen. Hingegen brauchen die Öffentlichkeit, Bürgerinnen und Bürger, Umwelt- und andere Fachverbände gar nicht informiert, geschweige denn in die Planung einbezogen werden – ein fatales Ansinnen. Bauen frei nach Investorengusto, ohne Bebauungsplan und ohne Bürgerbeteiligung: Die Bausünden und Problemviertel von morgen sind programmiert.
Das öffentliche Ringen um zukunftsfähige Stadtkonzepte und Baustrukturen mag nicht immer einfach und oft konfliktreich sein. Doch die gemeindliche Planungshoheit inklusive Beteiligung der Öffentlichkeit bildet ohne Übertreibung einen Eckpfeiler unserer Demokratie und Kommunalpolitik. Diese Errungenschaft gilt es zu schätzen und zu schützen.
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