Gastkommentar – Homo oeconomicus Drei Gründe, warum Staatsschulden nicht zwingend problematisch sind

Die Parteien wollen die Staatsschulden senken.
In einem sind sich die Parteien im Bundestagswahlkampf weitgehend einig: Die Staatsschulden müssten nach den pandemiebedingten Rekordausgaben wieder sinken. Die Diskussion braucht jedoch dringend mehr analytischen Tiefgang.
Meist werden drei Argumente angeführt, warum Staatsschulden problematisch sein können: Sie seien erstens kostspielig, sie bärgen zweitens das Risiko von Zahlungsproblemen und ein zu hohes Schuldenniveau reduziere drittens Investitionen und Wirtschaftswachstum. Alle drei Argumente sind aktuell jedoch unhaltbar oder bestenfalls eingeschränkt schlagkräftig.
Erstens begibt Deutschland Anleihen zu Negativzinsen. Investoren bezahlen den Staat, um Bundesanleihen zu halten. Ein Staat, der unter diesen Bedingungen in Projekte mit einer Rendite größer null investiert, fördert Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Angesichts erheblicher Investitionslücken, die etwa Klimaschutz und Digitalisierung betreffen, besteht viel Spielraum für eine Investitionsoffensive, die nicht im Konflikt mit der Schuldentragfähigkeit steht.
Zweitens kann ein Staat nicht wegen Schulden in eigener Währung zahlungsunfähig werden, wenn die Zentralbank glaubwürdig dahintersteht. Das sieht man etwa in Japan, wo die Staatsschulden 250 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachen. Trotzdem redet zu Recht niemand von drohenden Finanzierungsproblemen.
Die Situation in der Euro-Zone ist komplizierter: Die einzelnen Mitgliedstaaten begeben Anleihen, über die ihre nationale Zentralbank de facto keine vollständige Kontrolle hat. Während der Euro-Krise führte die Unsicherheit, ob die Europäische Zentralbank (EZB) Panikverkäufe und sprunghaft steigende Zinsen für einzelne Mitgliedstaaten verhindern würde, zu Finanzmarktturbulenzen. Deutschland kann für die Zukunft eine kostspielige Destabilisierung auf den Anleihemärkten verhindern, indem es darauf hinwirkt, dass die EZB ihre Stabilisierungsrolle für alle wahrnehmen kann.
Aufnahme von Schulden immer mit Risiken verbunden
Drittens gibt es keinen „magischen“ Schwellenwert, ab dem Staatsschulden zur Bremse für Investitionen und Wachstum werden. Die Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff legten 2010 eine Studie vor, wonach Staatsschulden von mehr als 90 Prozent der Wirtschaftsleistung mit geringerem Wachstum einhergehen.
Politiker benutzen die Ergebnisse, um Sparmaßnahmen zur Reduktion der Schuldenquote zu fordern. Anschließende Forschung zeigte aber: Die 90-Prozent-Grenze von Reinhart und Rogoff ist nicht haltbar, Budgetkürzungen waren vielfach kontraproduktiv.

Philipp Heimberger ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW).
Die Aufnahme von Schulden ist mit Risiken verbunden. Diese sind aktuell jedoch überschaubar. Die Reduktion von Staatsschulden ist kein Selbstzweck, insbesondere weil schuldenfinanzierte öffentliche Investitionen für Klimaschutz und Digitalisierung dringend sind. Diese Investitionen können das Produktionspotenzial heben, den Arbeitsmarkt fördern und so auch die Schuldentragfähigkeit verbessern.
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