Gastkommentar – Homo oeconomicus Mit der teilweisen Kapitaldeckung kann die Ampelkoalition die gesetzliche Rente nicht sanieren

Die gesetzliche Rentenversicherung steht vor zahlreichen finanziellen Herausforderungen.
Mit einer teilweisen Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) will die Ampelkoalition Rentenniveau und -beitragssatz langfristig stabilisieren. Dazu will sie noch in diesem Jahr 10 Milliarden Euro aus Haushaltsmitteln bereitstellen.
Doch für den Aufbau eines substanziellen Kapitalstocks braucht es weitaus mehr Geld. Es müssen also entweder die Versicherungsbeiträge oder der Bundeszuschuss erhöht oder aber merkliche Leistungseinschnitte vorgenommen werden.
Höhere Rentenbeiträge dürften auf absehbare Zeit kaum zu vermitteln sein. Viele private Haushalte stehen durch die hohen Energiepreise schon jetzt unter finanziellem Druck. Auch für die Unternehmen wären zusätzliche Lohnnebenkosten heute schwer zu bewältigen.
Eine Studie des Wirtschaftswissenschaftlers Martin Werding, der kürzlich für den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nominiert wurde, zeigt, dass eine Kapitaldeckung ohne Beitragserhöhungen in den kommenden Jahren Bundeszuschüsse von mehr als 100 Milliarden Euro erfordern würde. Zudem müssten viele Leistungen gestrichen werden, die den Rentnern im vergangenen Jahrzehnt zusätzlich gewährt wurden.
Woher soll dieses Geld kommen, wenn die Schuldenbremse ab 2023 wieder gelten soll? Wenn im Haushalt ein solcher Betrag verfügbar wäre, wäre es nicht besser, ihn in Bildung, Infrastruktur und Forschung zu investieren, als ihn für den Erwerb von Aktien zu nutzen?

Peter Bofinger ist Ökonomieprofessor an der Universität Würzburg und war Mitglied des Sachverständigenrats.
Im Rahmen der Schuldenbremse könnte sich der Bund für den Aufbau eines Aktienportfolios verschulden, das nicht von der Rentenversicherung verwaltet würde. Dann würde der Bund wie ein Hedgefonds agieren, mit allen Risiken, die sich ergeben, wenn ein Aktienpaket zu 100 Prozent mit Fremdkapital finanziert wird. Bei den am Aktienmarkt vorherrschenden Kursschwankungen führt das leicht in den Konkurs.
Mögliche Gewinne aus dem Portfolio könnten dann in die Rentenversicherung fließen. Aber auch da wären alternative Verwendungsmöglichkeiten zu prüfen. Ordnungspolitisch wäre staatliche Aktienspekulation großen Stils fragwürdig.
Da die Kapitaldeckung unter den gegebenen Restriktionen kaum zur Lösung der finanziellen Probleme in der GRV beitragen kann, ist es erstaunlich, dass sich der Koalitionsvertrag einem alternativen Ansatz verschließt. Dieser bestünde darin, alle Selbstständigen zur Mitgliedschaft zu verpflichten. Berechnungen von Werding zeigen, dass sich so im Zeitraum von 2040 bis 2060 eine Senkung der Beitragsätze um einen Prozentpunkt bei einem bis zu 1,5 Prozentpunkte höheren Rentenniveau erreichen ließe.
Stattdessen sieht der Koalitionsvertrag eine Versicherungspflicht für Selbstständige mit einem „einfachen und unbürokratischen Opt-out für private Vorsorgeprodukte“ vor. Die Nachhaltigkeit der GRV musste hinter den Interessen der Versicherungslobby zurückstehen.
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