Homo oeconomicus: Die Modern Monetary Theory könnte sich durch die Hintertür durchsetzen

Jörg Krämer ist Chefvolkswirt bei der Commerzbank.
Die sogenannte Modern Monetary Theory (MMT) scheint eine Lehre aus einer anderen Welt. Fast alle Ökonomen halten nichts von der Idee aus der Frühphase des Keynesianismus, dass sich die Finanzminister nach Belieben über die Notenpresse finanzieren, um gesellschaftliche Übel wie die Arbeitslosigkeit durch mehr Staatsausgaben zu überwinden. Nobelpreisträger Paul Krugman spricht diesbezüglich von „Voodoo Economics“.
Aber die MMT-Heilslehre ist gar nicht so unkonventionell, wenn man ihre Ziele betrachtet. Wie die herrschende Lehre will auch sie stabile volkswirtschaftliche Verhältnisse mit niedriger Inflation und Vollbeschäftigung sowie finanzierbare öffentliche Haushalte. Der Unterschied zwischen den beiden Schulen besteht in der Verteilung der Aufgaben zwischen Notenbankern und Finanzministern.
In den meisten westlichen Ländern kümmern sich weitgehend unabhängige Zentralbanken um eine niedrige Inflation, die mit einem Gleichgewicht am Arbeitsmarkt einhergeht. Dagegen müssen die Finanzminister ohne Zugriff auf die Notenpresse die Haushaltsdefizite begrenzen, um nicht das Vertrauen der Käufer ihrer Staatsanleihen zu verlieren.
Die MMT-Lehre stellt diese Aufgabenteilung auf den Kopf. Basierend auf den Lehren des Postkeynesianers Abba Lerner aus den 1940er-Jahren geht sie von der unbestreitbaren Tatsache aus, dass einem Staat das eigene Geld niemals ausgehen kann, sofern er die Notenbank ihrer Unabhängigkeit beraubt.
Andere Rollenverteilung in der Realität
Mit dem Zugriff auf die Notenpresse braucht er sich nicht mehr um die Anleiheinvestoren zu scheren. Er kann so lange frisch gedrucktes Geld ausgeben und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigern, bis Vollbeschäftigung herrscht. Droht Inflation, erhöht er die Steuern und entzieht der Volkswirtschaft so wieder Geld. In der MMT-Welt ist der Finanzminister für niedrige Inflation und Vollbeschäftigung zuständig, während die weisungsgebundene Notenbank seinen Finanzhunger zu stillen hat.
In der Realität sind wir noch nicht bei dieser Rollenverteilung. Zwar kaufen die Zentralbanken seit Jahren in großem Stil Staatsanleihen und finanzieren so die Staaten – gerade in der Coronakrise. Aber das ist noch Ausdruck einer freiwilligen Kooperation zwischen den Zentralbankern und den Finanzministern. Aber je länger diese Kooperation anhält, desto mehr verlassen sich die Finanzminister auf die Hilfen und verschulden sich zu stark.





Wenn aber irgendwann die Verbraucherpreise oder Vermögenspreise zu stark steigen, könnte die EZB vor notwendigen Zinserhöhungen zurückschrecken, um an den Staatsanleihemärkten einen Kollaps zu verhindern, der die Existenz der Währungsunion gefährden könnte.
Dann wäre die EZB wie von der MMT-Lehre gefordert endgültig zur Staatsfinanzierung verdammt, ohne darauf hoffen zu können, dass die Finanzminister ein Zuviel an Geld durch höhere Steuern stilllegen. Auf lange Sicht drohte nicht nur eine Inflation der Verbraucher- oder Vermögenspreise, sondern auch ein Breitmachen der Staaten auf Kosten des Privatsektors, das Wohlstand und Freiheit gefährdet.





