Kolumne – Asia Techonomics Verzweiflung als Geschäftsgrundlage: Dubiose Kredit-Apps treiben in Indien Menschen in den Tod

In der wöchentlichen Kolumne schreiben wir im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.
Die Falle schnappt in Indien zu, wenn die Not am größten ist. Millionen Menschen haben während der Coronakrise, die in dem südasiatischen Land besonders heftig wütete, ihren Job verloren. Tagelöhner und viele Familien, die sich auch in normalen Zeiten nur mühsam von einer Gehaltsüberweisung zur nächsten durchschlagen, stehen damit vor einer existenzbedrohenden Situation.
Für einen perfiden Teil der Fintech-Branche ist genau diese Verzweiflung die Geschäftsgrundlage: Wer dringend ein paar Rupien braucht, um einen Sack Reis zu kaufen oder die nächste Miete zu bezahlen, kann in Indien zwischen einer Flut von sogenannten „Instant Loan Apps“ wählen, die unbesicherte Mikrokredite auf Knopfdruck versprechen.
Was die Empfänger dafür zu tun haben, ist ebenso simpel wie folgenreich: Sie müssen mit ein paar Fingertipps bestätigen, dass die Kredit-App weitreichende Zugriffsrechte auf das Smartphone bekommt. Spätestens damit geht für viele der Ärger los – schlimmstenfalls mit tödlichem Ausgang.
Das Geschäftsmodell der schwarzen Schafe in Indiens boomendem Fintech-Sektor ist einfach, aber verstörend: Verliehen wird das Geld – meistens Beträge von umgerechnet zehn bis ein paar Hundert Euro – über extrem kurze Laufzeiten, oftmals nur ein bis zwei Wochen. Dafür verlangen die App-Betreiber exorbitante Zinsen und Gebühren.
Wenn die Schuldner die Aufschläge nicht bezahlen können, wird es unangenehm: Die digitalen Kredithaie nutzen dann den Zugriff auf die Smartphone-Daten, um Druck zu machen.

Durch die Folgen der Coronakrise sind viele Inder in finanzielle Nöte geraten.
Eines ihrer weit verbreiteten Modelle: Die Firmen schicken WhatsApp-Nachrichten an alle Kontakte des Schuldners, in denen sie ihren nicht zahlenden Kunden als Betrüger diffamieren, dem man nicht vertrauen könne – so bekommen auch Angehörige, Arbeitskollegen und Vorgesetzte mit, dass die betroffene Person Geldprobleme hat.
Dass das hochgradig peinlich ist, gehört zum Konzept und kann in Indiens engem sozialem Gefüge wirksam Druck machen. Zudem nutzen die Geldeintreiber auch private Fotos und posten sie möglichst unvorteilhaft in sozialen Medien, bis die Schuldner endlich zahlen.
Strafverfahren gegen mutmaßliche Hintermänner
In einigen Fällen nahm der Druck ein fatales Ende: Die Behörden bringen mindestens sechs Suizide mit der Onlinedrangsalierung durch hochgradig unseriöse Geldverleiher in Verbindung. Nach monatelangen Ermittlungen leitete die Polizei in der Metropole Hyderabad, wo viele Firmen ihre aggressiven Inkassomitarbeiter in Großraumbüros ansiedeln, Ende Mai Strafverfahren gegen 23 mutmaßliche Hintermänner von Internetkredithaien ein. Ihnen wird Verleumdung ihrer Kunden vorgeworfen.
Mindestens 211 Kredit-Apps haben laut offiziellen Angaben in den vergangenen Monaten mit solchen unlauteren Methoden gearbeitet. Sie sollen Transaktionen im Wert von mehr als drei Milliarden Euro getätigt und einen Gewinn von 1,2 Milliarden Euro erwirtschaftet haben.
Wer genau davon profitierte, lässt sich aber nur schwer herausfinden: Die Kredit-Apps operieren vielfach mit undurchsichtigen Firmenkonstrukten im Verborgenen. Laut den Ermittlern führt die Spur nach China, wo ähnliche Darlehensdienste bereits vor Jahren für Aufsehen sorgten, bis die Behörden hart dagegen durchgriffen.
Es sind allerdings nicht nur dubiose Figuren, die mit den Sofortkrediten per App in Indien schnelles Geld machen wollen. Deutlich seriösere Anbieter mit offizieller Registrierung sind ebenfalls in dem Segment aktiv. Doch auch ohne Wucherzinsen und Onlinebelästigung stoßen viele Angebote auf Kritik.
Grund sind die mit Künstlicher Intelligenz gefütterten Algorithmen, die automatisch darüber entscheiden, wer einen Kredit bekommt und wer nicht. Basis sind auch hier Daten, die aus den Smartphones ausgelesen werden. Wer in sozialen Netzwerken sehr aktiv ist oder über viele Kontakte in seinem Telefonbuch verfügt, gilt etwa als vertrauenswürdiger als Menschen mit einem kleineren digitalen Fußabdruck.

Doch Verbraucherschützer warnen davor, dass solche Methoden zu computergesteuerter Diskriminierung führen können. Frauen, die in Indien traditionell weniger stark sozial vernetzt sind, würden deshalb überdurchschnittlich häufig als kreditunwürdig angesehen. Eine Ablehnung durch einen App-Algorithmus kann das Kredit-Scoring über Jahre negativ beeinflussen.
Die Erfahrungen in Indien zeigen, wie wichtig es ist, dass Finanzaufseher Onlinekredite genau im Auge behalten. Funktioniert die Regulierung nicht, leiden am Ende die Schwächsten.
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