Asia Techonomics: Indiens Start-ups schlittern von einer Krise in die nächste


In der wöchentlichen Kolumne schreiben Handelsblatt-Korrespondenten im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.
Der einstige Superstar der indischen Start-up-Szene hat einen tiefen Absturz hinter sich: Noch im vergangenen Jahr schrieb Byju Raveendran Geschichte als der erste indische Gründer, dessen Unternehmen zu einem offiziellen Sponsor der Fußball-Weltmeisterschaft wurde. Er holte auch den argentinischen Weltfußballer Lionel Messi als globalen Markenbotschafter an Bord. Doch wenige Monate nach der internationalen Offensive schlittert sein ehemals gefeiertes Bildungs-Start-up von einer Krise in die nächste.
Das nach dem Gründer benannte Unternehmen Byju’s, das mit Online-Nachhilfeunterricht für Millionen von Indern zwischenzeitlich als eines der erfolgreichsten Start-ups des Landes galt, verpasste Zahlungen für einen 1,2-Milliarden-Dollar-Kredit, konnte Fristen für Finanzberichte nicht einhalten und verlor in der Folge Deloitte als seinen Buchprüfer.
Investoren zogen sich reihenweise aus dem Vorstand zurück – und kürzten ihre Bewertung für das Unternehmen massiv: von rund 22 auf zuletzt nur noch rund fünf Milliarden US-Dollar.
Unternehmenschef Raveendran verlor damit auch seinen Status als Dollar-Milliardär. Sein persönliches Vermögen schrumpfte nach Schätzungen des Magazins „Forbes“ von 1,8 Milliarden Dollar im Jahr 2020 auf zuletzt nur noch 475 Millionen Dollar.
Rund 100 indische Start-ups erreichten Einhorn-Status
Der wirtschaftliche Absturz von Byju’s und seinem Chef ist das drastischste Beispiel vom rasanten Ende des indischen Start-up-Booms. Das 1,4 Milliarden Einwohner große Land galt noch vor Kurzem als der große Hoffnungsträger ausländischer Risikokapitalgeber, die auf ein rasantes Wachstum von neuen E-Commerce-Firmen sowie Mobilitäts- und Bezahldiensten in dem Land wetteten.
Mit ihren Geldern erreichten rund 100 indische Start-ups den Einhorn-Status – also eine Bewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Allein im Jahr 2021 kamen laut dem Analysedienst Tracxn 48 neue indische Einhörner hinzu. Der Subkontinent etablierte sich damit als die dritterfolgreichste Start-up-Schmiede der Welt – hinter den USA und China.
Doch während die Begeisterung der Geldgeber bereits im vergangenen Jahr abflaute, bricht das Investoreninteresse in diesem Jahr regelrecht ein. Im ersten Halbjahr konnten indische Start-ups nur noch 5,4 Milliarden Dollar an frischem Kapital einwerben – 70 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Große Investoren wie der japanische Softbank-Konzern schlossen im Gegensatz zu den Vorjahren in den ersten sechs Monaten des Jahres keinen einzigen Indiendeal ab.
Neue Einhörner hat Indien schon seit Langem nicht mehr gesehen.
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Dahinter steht nicht nur die Tatsache, dass das Geld der Venture-Capital-Firmen angesichts der globalen Zinswende bei Weitem nicht mehr so locker sitzt wie früher. Eine entscheidende Rolle spielen auch die schlechten Erfahrungen in dem Land, die den Investoren vor Augen geführt haben, wie schwierig sich in Indien Geld verdienen lässt. Gründer klagen über harte Konkurrenz auf einem extrem preissensitiven Markt, der Margen auf wenige Rupien zusammenschmelzen lässt.
Zu den größten Enttäuschungen zählen der Bezahldienst Paytm und der Lieferdienst Zomato. Beide Start-ups gingen im Boomjahr 2021 an die Börse. Angesichts anhaltender Verluste liegen ihre Kurse weiterhin tief unter dem damaligen Ausgabepreis. Bei Paytm beträgt das Minus mehr als 45, bei Zomato mehr als 37 Prozent.
Verdacht auf fragwürdige Geschäftspraktiken erschüttert mehrere Start-ups
Auch Byju’s, das seine Erfolge mit Onlineunterricht während der Coronapandemie nicht fortsetzen konnte, meldete zuletzt Hunderte Millionen Dollar an Verlusten. Die mangelnde Profitabilität ist aber offenbar nicht das einzige Problem: Im April kam es zu einer Durchsuchung in den Büros des Unternehmens wegen möglicher finanzieller Unregelmäßigkeiten. Das Unternehmen bestritt damals jegliches Fehlverhalten. Diese Woche berichteten indische Medien, dass die Behörden die Bücher des Unternehmens genauer unter die Lupe nehmen wollen.
Den Verdacht von fragwürdigen Geschäftspraktiken gibt es auch bei anderen bekannten Start-ups des Landes: Das Fintech-Unternehmen Bharatpe verklagt einen Mitgründer wegen angeblicher Veruntreuung von Firmengeldern. Der Autodienstleister Gomechanic, der den US-Wagniskapitalgeber Sequoia zu seinen Unterstützern zählte, sieht sich mit Vorwurf manipulierter Umsätze konfrontiert. Mitgründer Amit Bhasin räumte ein, dass das Management „Fehler im Urteilsvermögen gemacht hat, da wir Wachstum um jeden Preis anstrebten“.




Der Verdacht auf Trickserien verheißt nichts Gutes für die nähere Zukunft der indischen Start-up-Branche. Junge Gründerinnen und Gründer werden den zunehmend skeptisch gewordenen Investoren nicht nur zeigen müssen, dass ihre Geschäftsmodelle auch in einem harten Wettbewerbsumfeld bestehen können. Sie müssen auch beweisen, dass ihnen als Geschäftsleute zu trauen ist.
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