
Ist es nicht beschämend, dass es in einem reichen Land wie Deutschland arme Menschen gibt? Kinder, Erwachsene und Ältere, die so wenig Geld haben, dass sie morgens hungrig zur Schule gehen, sich bei den Tafeln mit Lebensmitteln eindecken oder Mülleimer nach Pfandflaschen durchwühlen müssen. Ein würdevolles Leben sieht anders aus, daher ist jede Maßnahme, die Armut mildert oder beseitigt zu begrüßen.
Doch die vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, dass es für die politisch Verantwortlichen nicht so einfach ist, solche Maßnahmen zu beschließen. Gut konnte man das an der Grundrente für Geringverdiener sehen, um die das politische Berlin lange und hart gerungen hat, bis es zu einer Einigung kam.
Vor allem Frauen profitieren von der Grundrente
Die Grundrente soll ab 2021 für 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen greifen, die mindestens 35 Jahre gearbeitet und Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben. Dabei müssen sie zwischen 30 und 80 Prozent des Durchschnittseinkommens verdient haben. Zu den Beitragsjahren zählen auch Zeiten, in denen jemand Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat.
Allerdings wird es eine Einkommensprüfung geben, es gelten dann Einkommensfreibeträge in Höhe von 1250 Euro für Alleinstehende und 1950 Euro für Paare. Es wird davon ausgegangen, dass 80 Prozent der Grundrentenbezieher Frauen sein werden, viele von ihnen aus Ostdeutschland.
Zahlreiche Renten ehemaliger Geringverdiener fallen so niedrig aus, dass viele von ihnen auf staatliche Hilfen wie die Grundsicherung im Alter angewiesen sind. Derzeit sind das über eine halbe Million Menschen. Ihre Zahl wäre noch höher, aber viele Ältere verzichten aus Unkenntnis und aus Scham auf diese Leistung. Mit der Grundrente liegen viele Menschen mit kleinen Renten über der Grundsicherung, der Gang zum Sozialamt bleibt ihnen erspart, ihre Lebensleistung wird anerkannt. Und eben das ist das Signal, das von der Grundrente ausgeht.
Grundrente nicht nur mit 35 Beitragsjahren
Damit möglichst viele diese Anerkennung für ihre Leistung in der Gesellschaft bekommen, hält der Koalitionsbeschluss erfreulicherweise nicht ganz strikt an den 35 Beitragsjahren fest, sondern setzt eine alte Forderung des VdK nach einer sogenannten Gleitzone um. Mit ihr können auch Menschen zumindest anteilig von der Grundrente profitieren, die zwischen 30 und 35 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben.
Die Grundrente kann jedoch nicht die letzte Antwort der politisch Verantwortlichen bleiben. Besser werden muss vor allem die Situation von Erwerbsminderungsrentnern, also von Menschen, die durch eine Krankheit oder Behinderung ihren Beruf frühzeitig aufgeben mussten und keine Chance mehr haben, ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften.
Können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht bis zu ihrem regulären Renteneintrittsalter arbeiten, so fällt ihre Rente oft so niedrig aus, dass sie kaum davon leben können. Erwerbsminderungsrenten werden durch hohe Abschläge von monatlich bis zu fast elf Prozent reduziert.
Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner
Diese Menschen profitieren kaum von der Grundrente, denn die wenigsten unter ihnen erreichen 35 oder knapp weniger Beitragsjahre. Insofern ist unsere Forderung an die politisch Verantwortlichen klar: Bei den Beitragsjahren, die für die Grundrente zählen, müssen auch Zeiten berücksichtigt werden, in denen jemand krankheitsbedingt nicht arbeiten konnte und eine Erwerbsminderungsrente bezogen hat.
Auch sollten alle Erwerbsminderungsrentner, die Grundsicherung im Alter beziehen, von dem Freibetrag profitieren, den die Koalitionäre gemeinsam mit der Grundrente beschlossen haben – auch wenn sie nicht 35 Beitragsjahre vorweisen können. Der Freibetrag für die gesetzliche Rente soll laut aktuellen Plänen bei bis zu 212 Euro liegen und denen nutzen, die 35 Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben und Grundsicherung im Alter beziehen.
Am Ende bleibt: Eigentlich sollten wir die Grundrente zukünftig gar nicht brauchen müssen. Sie muss überflüssig werden. Denn dass die regierenden Parteien seit mehreren Legislaturperioden über sie streiten, ist eine Folge geringer Löhne und Gehälter und eines kontinuierlichen Absenkens des Rentenniveaus.
Wir brauchen endlich einen Mindestlohn von über 12 Euro und ein stabil hohes Rentenniveau. Ziel muss es sein, dass alle, die gearbeitet haben, auch im Alter von ihrer Rente leben können.
Verena Bentele ist seit 2018 Präsidentin des Sozialverbands VdK, dem mit zwei Millionen Mitgliedern größten Sozialverband in Deutschland. Zuvor war sie Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung.

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