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GeoeconomicsFriedensverhandlungen? Wladimir Putin sorgt für Spekulationen

Kanzler Scholz fordert eine Friedenskonferenz und löst viele Reaktionen aus. Die Nachricht der Woche kommt aber aus Russland, analysiert Militärexperte Carlo Masala.Carlo Masala 13.09.2024 - 10:50 Uhr Artikel anhören
Der Autor: Der Militärexperte Carlo Masala ist Politikwissenschaftler und Professor für Internationale Politik an der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften der Universität der Bundeswehr München. Foto: IMAGO/HMB-Media

Am Wochenende überschlugen sich die Eilmeldungen. Zunächst meldete sich der ehemalige ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, mit einer angeblichen 180-Grad-Wende. Er forderte Olaf Scholz nämlich dazu auf, auszuloten, inwieweit Russland zu Friedensverhandlungen mit der Ukraine bereit sei.

Und als ob dies nicht schon genug „breaking news“ wären, legte der Bundeskanzler im Sommerinterview nach und sagte, dass er sich mit dem ukrainischen Präsidenten einig darin sei, dass es eine weitere Friedenskonferenz unter Teilnahme Russlands geben müsse.

Von den politischen und gesellschaftlichen Kräften in Deutschland, die einer Unterstützung der Ukraine von Anfang an skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden, wurde dies als „Kehrtwende“ gefeiert. Alle, die bislang Verhandlungen als unrealistisch ansahen, müssten nun Asche auf ihr Haupt streuen, teilte das BSW-Mitglied Fabio de Masi auf X mit.

Doch wie so oft zeigte sich in den Reaktionen auf Melnyk und Scholz die eigenartige Mischung aus mangelnder Lesekompetenz und einem historischen Kurzzeitgedächtnis, das die deutsche Debatte kennzeichnet.

Denn der Wunsch nach einer zweiten Friedenskonferenz unter Beteiligung Russlands ist so neu gar nicht. Bereits im Juni, anlässlich der ersten ukrainischen Friedenskonferenz im schweizerischen Bürgenstock, forderten dies einige der anwesenden Staaten. Und es war Präsident Selenski, der sich diese Forderung zu eigen machte – ob freiwillig oder gezwungenermaßen sei dahingestellt.

Melnyk: Militärhilfe soll ausgeweitet werden

Und weder Melnyk noch Scholz plädierten dafür, als Zeichen des „guten Willens“ an Russland die Waffenlieferungen einzustellen. Im Gegenteil: Andrij Melnyk betonte, dass die Ukraine für den Fall von Verhandlungen „sehr gute Karten in den Händen“ halten müsse, um Russland zum Rückzug zu zwingen. Deshalb solle die deutsche Militärhilfe ausgeweitet werden, einschließlich der Lieferung des Marschflugkörpers Taurus, so seine Forderung.

Die Ukraine setzt vermehrt auf Drohnen: Kanzler Scholz fordert, dass es eine weitere Friedenskonferenz unter Teilnahme Russlands geben müsse. Foto: Libkos/AP/dpa

Man könnte den Beitrag an dieser Stelle beenden und schlussfolgern: Viel Lärm um nicht Neues. Wäre da nicht Wladimir Putin. Denn dieser ließ vergangene Woche am Rande eines Wirtschaftsforums in Wladiwostok die internationale Presse wissen, dass er grundsätzlich zu Verhandlungen bereit sei. Allerdings nicht entlang der sogenannten ukrainischen Friedensformel, die den Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine, russische Reparationszahlungen und die Überstellung russischer Kriegsverbrecher an den Internationalen Strafgerichtshof vorsieht. Grundlage für Gespräche sollten die in Istanbul 2022 vereinbarten Dokumente sein.

Zunächst lässt diese Aussage aufhorchen. Denn sie scheint eine Abkehr von der bisherigen russischen Position zu bedeuten, wonach Friedensverhandlungen nur entlang der Anerkennung der territorialen Realitäten in der Ukraine geführt werden könnten.

Wir erinnern uns. Als die Ukraine und Russland zwischen Ende März und Mitte April unter türkischer Vermittlung in Istanbul verhandelten, einigte man sich relativ schnell auf eine Neutralität der Ukraine und auf einen Sicherheitsgarantiemechanismus, der im Falle eines erneuten Angriffes durch Russland ausgelöst werden könnte. Von diesen Sicherheitsgarantien ausgenommen sollten die Krim sowie Teile der Verwaltungsbezirke Donezk und Luhansk bei Russland bleiben (welche Teile blieb offen).

Russland

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2024 aber besetzt Russland nicht nur die Krim sowie die Oblaste Donezk und Luhansk, sondern auch Teile der Bezirke rund um Cherson und Saporischschja. Bedeutet dies also, dass Putin bereit ist, über die beiden letzteren zu verhandeln, sie gar – vielleicht im Tausch gegen das von der Ukraine eroberte Gebiet in Kursk – zurückzugeben? Wenn dem so wäre, wäre dies ein beachtlicher Teilerfolg für die Ukraine. Zweifel bleiben aber angebracht.

Wird Putin der Preis für den Krieg doch zu hoch?

Warum sollte Russland, das bislang sämtliche Verhandlungen abgelehnt hat, die nicht zu seinen Bedingungen geführt werden, auf Teile annektierten Territoriums verzichten? Zumal dort schon seit Längerem die Russifizierung der dort lebenden Bevölkerung mit aller Brutalität durchgesetzt wird. Oder wird Putin der Preis für den Krieg am Ende doch zu hoch?

Aber vielleicht will Russlands Präsident nur mal wieder den Spaltpilz durch die Gesellschaften der Staaten treiben, die die Ukraine unterstützen. Also dort die Kräfte stärken, die um jeden Preis diesen Konflikt beenden wollen und jene schwächen, die für die Ukraine die bestmöglichen Ausgangsbedingungen für Verhandlungen schaffen möchten.

Verwandte Themen Ukraine Russland Wladimir Putin Olaf Scholz BSW Rüstungsexport

Welche Einschätzung die richtige ist, werden wir wohl erst erfahren, wenn Russland tatsächlich an den Verhandlungstisch kommen sollte. Aber das ist, Stand heute, eher unwahrscheinlich.

Mehr: Militärexperte Masala über US-Raketen – „Deutschland wäre ohnehin Angriffsziel“

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