Geoeconomics: Noch ist es möglich, mit Putin über nukleare Abrüstung zu verhandeln


Eine Dislozierung russischer nuklearer Waffen in Belarus könnte für Putin nicht ohne Folgen bleiben.
Kaum hatten Russlands Präsident Wladimir Putin und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping vor wenigen Wochen in Moskau gemeinsam dazu aufgerufen, keine nuklearen Waffen außerhalb des eigenen Territoriums zu stationieren, brach Russland ohne große Umschweife mit diesem Prinzip: Moskau kündigte an, solche Waffensysteme in Belarus zu stationieren. Dieser Akt dürfte das Vertrauen, das Putin in Peking genießt, nicht gerade gestärkt haben.
Wie aber sollten wir, die Nato, die USA, reagieren? Der polnische Ministerpräsident trug seinen eigenen Vorschlag dazu dieser Tage in Washington vor: eine Stärkung der Präsenz von amerikanischen Truppen und Waffensystemen in Polen. Eigentlich fordert Warschau damit nichts prinzipiell anderes als Helmut Schmidt, der Ende der 70er-Jahre angesichts der damals neuen Bedrohung durch sowjetische SS-20-Mittelstreckenraketen US-Nachrüstung verlangte.
Leider ist der damals ausgehandelte INF-Vertrag seit einigen Jahren obsolet, nachdem der russischen Seite Vertragsverstöße wegen einer neuen Cruise Missile vorgeworfen worden sind. Und bis heute blieb angesichts dieser neuen russischen Mittelstreckensysteme und angesichts inzwischen in Kaliningrad stationierter nuklearfähiger Iskander-Kurzstreckensysteme eine nukleare Nato-Nachrüstungsantwort aus. Insoweit hat Polen da schon einen Punkt.
Washington könnte und sollte zunächst Moskau warnen
Bevor wir aber mit einer Reaktion gegenseitig Flugzeiten ballistischer Raketen noch weiter verkürzen und damit nukleare Eskalationsrisiken in Europa weiter hochschrauben, könnte man jetzt vielleicht doch versuchen, mit Putin zu verhandeln – trotz allen Misstrauens. Man könnte darüber sprechen, ob im beiderseitigen Interesse ein mit dem damaligen INF-Abkommen vergleichbarer Rüstungskontrollschritt vorstellbar wäre, um die ohnehin äußerst schwierige Beziehung zwischen den USA und Russland nicht noch mehr zu belasten.
Washington könnte und sollte zunächst Moskau warnen, dass eine Stationierung russischer nuklearer Waffen in Belarus nicht ohne Folgen bleiben würde und ein solcher Schritt natürlich der endgültige Sargnagel für die Nato/Russland-Grundakte von 1997 wäre. In der Grundakte hatte die Nato sich verpflichtet, in neuen Nato-Mitgliedstaaten keine nuklearen Systeme zu stationieren.
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Würde die Grundakte, deren Grundlage Russland eigentlich bereits 2014 zerstört hat, nun endgültig für obsolet erklärt, stünde also – auch rein völkervertragsrechtlich – einer solchen Stationierung etwa in Polen nichts entgegen. Schlimmer noch für Moskau: dann wären die USA im Prinzip frei, auch einem künftigen Nato-Mitglied Ukraine nukleare Teilhabe anzubieten.

Wolfgang Ischinger ist ehemaliger Botschafter in Washington und war Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz.
Eine solche Perspektive mit allen Mitteln zu verhindern dürfte höchste Priorität in Moskau genießen. Vielleicht könnte Moskau deshalb einen Deal mit Washington jedenfalls dann durchaus attraktiv finden, wenn die russische Unterjochung der Ukraine sich als dauerhaft nicht erreichbar erweist.
Ein möglicher derartiger Deal könnte in einem ersten Schritt etwa so aussehen: Moskau schickt keine nuklearfähigen Systeme nach Belarus, und die USA bekräftigen ihrerseits die Politik, keine solchen Waffen in östlichen Nato-Staaten zu dislozieren.
Einschlägige Erfahrungen von vor 40 Jahren sind nicht vergessen und abrufbar
Dem Argument, man könne Putin in keiner Weise mehr über den Weg trauen, könnte man entgegenhalten, dass nur solche Verabredungen getroffen werden würden, deren Einhaltung umfassend verifizierbar wäre. Schön wäre es, wenn die Europäer Fragen nuklearer Abrüstung und Rüstungskontrolle beim bevorstehenden G7-Gipfel in Hiroshima aktiv auf die Tagesordnung setzen würden.
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Nuklearexperten plädieren für „Fail-Safe-Review“
Zu den denkbaren Themen könnte zum Beispiel auch der Vorschlag zweier amerikanischer Nuklearexperten, Sam Nunn und Ernest Moniz, zählen, alle Nuklearmächte sollten sich freiwillig einer Selbstkontrolle, einer Überprüfung der Sicherheitssysteme ihrer eigenen nuklearen Waffen und der politisch-militärischen Befehlsketten unterziehen. Im Fachjargon: „Fail-Safe-Review“.






Aus dem Weißen Haus gibt es dazu bereits positive Signale. Und auch Peking und Moskau müssten einsehen, dass eine solche Initiative in deren Interesse liegt. Dann könnte daraus – in global schwierigsten, von Misstrauen geprägten Krisenzeiten – sogar ein kleines Pflänzchen strategisch-militärischer Vertrauensbildung erwachsen. Der G7-Gipfel in Hiroshima ist übrigens in der zweiten Maihälfte. Noch ist also Zeit für entsprechende Vorbereitungen.





