Globale Trends: Es ist zu früh, Meloni ein demokratisches Gütesiegel auszustellen

Rücken einige der rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien der EU in die Mitte, können sie ein Koalitionspartner im Europaparlament (EP) werden? Das wäre eine historische Veränderung.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen streckt Italiens Postfaschistin Giorgia Meloni die Hand zum Bündnis aus. Der Wahlkampf der im EP voraussichtlich stärksten rechten Formationen – Melonis Fratelli d’Italia und der Rassemblement National (RN) aus Frankreich – ist deutlich gemäßigter als in früheren Jahren. RN-Spitzenkandidat Jordan Bardella spricht nicht mehr vom Frexit, er kritisiert Russland und findet warme Worte für die Ukraine.
Doch inhaltlich hat sich nicht viel verändert: Der RN lehnt eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik genauso ab wie eine EU-Migrations- und Energiepolitik, will den Binnenmarkt nur tolerieren, wenn es eine Priorität für nationale Güter gibt – ein Euphemismus für die Wiedereinführung von Handelsschranken. Und er setzt noch eins drauf: Immer soll französisches Recht Vorrang haben vor europäischem. Das ist ein Frexit, der nicht beim Namen genannt wird.
Um den Rausschmiss der AfD aus der ID-Fraktion, der auch RN angehört, wurde viel Aufhebens gemacht. Doch die Fraktionen und Gruppierungen der extremen Rechten im Europäischen Parlament haben eine kurze Halbwertszeit. 16 verschiedene Fraktionen haben Rechtsextreme im Europaparlament gegründet und wieder aufgegeben. Konservative, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne bringen es dagegen jeweils nur auf eine.

Meloni ist in einer anderen Fraktion (ECR), wird aber vielleicht mit dem RN eine gemeinsame bilden. Die Wurzeln von Melonis Fratelli reichen bis zu Italiens faschistischem Diktator Benito Mussolini. Noch vor gut drei Jahren wollte sie die EU abschaffen und durch „ein konföderiertes Europa freier Staaten“ ersetzen. Heute setzt sie sich auf dem Papier sogar für mehr EU ein: für eine gemeinsame Verteidigung und für Politiken zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt.

Hat Meloni sich im Gegensatz zum RN von ihrem rechten Markenkern gelöst? Ihr Überleben als Premierministerin hängt davon ab, einen Konflikt mit der EZB und der EU-Kommission zu vermeiden. In den war 2011 der damalige Premier Silvio Berlusconi wegen seiner Wirtschaftspolitik geraten. Politisch überlebte er das nur wenige Wochen, dann trat er zurück.
Ohne Gleichschritt mit der EU schössen Italiens Zinsen wegen der hohen Verschuldung durch die Decke. Im Gegensatz zu Ungarns Viktor Orban unterstützt Meloni in Brüssel die Ukraine. Sie agiert im Moment eindeutig konstruktiver als alle anderen rechtsextremen Parteien der EU.
Die Loyalität ihrer europafeindlichen Basis stellt das auf eine harte Probe. Ihre Anhänger versucht Meloni auf andere Weise zufriedenzustellen: Politik gegen Homosexuelle, Angriffe auf die Pressefreiheit, eine Verfassungsreform, die Italien zu einem großen Ungarn machen würde. Die bei den Wahlen größte Partei würde automatisch 55 Prozent aller Sitze erhalten. Ein konstruktives Misstrauensvotum gegen den Premier wäre nur noch mit einem Kandidaten aus den eigenen Reihen der Mehrheit möglich.






Die entscheidende Frage ist, in welche Richtung Meloni ihren Spagat auflösen wird: Verzichtet sie auch innenpolitisch auf einen harten Rechtskurs? Oder greift sie wie Orban wieder die EU an, wenn sie sich erst einmal die absolute Macht gesichert hat?
So faszinierend das Experiment ist: Noch ist es zu früh, um der raffinierten Politikerin ein demokratisches Gütesiegel zu geben, wie die Christdemokraten im EP es wollen.





