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Globale Trends„Kanonen statt Butter“ – Europas Aufrüstungs-Dilemma

Die Sicherheit Europas entscheidet sich nicht in den USA, sondern auf dem alten Kontinent – der viel Geld in die Hand nehmen muss. Wieso eine Aufrüstung auf Pump ohne hartes Sparen nicht reicht.Torsten Riecke 28.02.2025 - 10:40 Uhr Artikel anhören
Artelleriemunition wird bei Rheinmetall gefertigt: Die massive Aufrüstung zwingt Europas Regierungen zu harten Haushaltsentscheidungen. Foto: Philipp Schulze/dpa

Das Ringen um die Sicherheit Europas findet nicht nur auf den Schlachtfeldern in der Ukraine statt. Es reicht auch nicht aus, wenn sich europäische Regierungschefs in dieser Woche im Weißen Haus die Klinke in die Hand geben, um US-Präsident Donald Trump davon abzubringen, Europa im Stich zu lassen. Nein, die Sicherheit Europas wird auf dem alten Kontinent entschieden, und zwar an der Staatskasse.

„Kanonen statt Butter“ – auf diese einfache Formel hat die Londoner Tageszeitung „The Times“ das Dilemma gebracht, in dem alle europäischen Volkswirtschaften stecken. Eine Aufrüstung auf 2,5, drei oder gar fünf Prozent der Wirtschaftsleistung lässt sich nur bezahlen, wenn anderswo hart gespart wird.

Auch Ifo-Chef Clemens Fuest benutzte vor einem Jahr die Aufrüstungsformel, die auch die Nazis schon gebraucht hatten, und  stellte fest: „Kanonen und Butter – es wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland, das geht nicht.“

Der öffentliche Aufschrei war groß. Damals wurde jedoch noch um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato und eine Lücke im deutschen Wehretat von 50 Milliarden Euro gerungen. Inzwischen hat Trump 2.0 die Welt verändert, der kommende Bundeskanzler Friedrich Merz verhandelt mit seinem Juniorpartner SPD angeblich über eine Aufrüstung von 200 Milliarden Euro.

Ob man deshalb gleich den Gürtel enger schnallen – sprich: weniger konsumieren – kann, sei dahingestellt. Sicher ist, dass sich die historische Lücke im europäischen Wehretat nicht allein und dauerhaft durch ein Sondervermögen und eine kluge Neuverschuldung schließen lässt. Insofern hatte Fuest durchaus recht, als er davor warnte, man könne nicht aufrüsten und bei den Staatsausgaben ansonsten nach dem Motto „Weiter so“ verfahren.

Europa braucht kurzfristig 250 Milliarden Euro

„Alles hat sich verändert“, sagte diese Woche der britische Premierminister Keir Starmer mit Blick auf Trump, und Merz denkt bereits über eine Verteidigung Europas ohne die USA nach. Nach Berechnungen der Brüsseler Denkfabrik Bruegel und des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel werden kurzfristig mindestens 250 Milliarden Euro gebraucht, um sich gegen eine russische Aggression zu verteidigen.

Die äußere Sicherheit gehört zu den Kernaufgaben des Staates. Es ist deshalb weder denkbar noch machbar, die Lasten dafür dauerhaft in Sondervermögen auszulagern. Das gilt auch für Europa. Es ist richtig, dass die EU-Kommission jetzt mit einem europäischen Verteidigungsfonds versucht, die Sicherheitslücke schnell zu schließen. Um eine neue Lastenverteilung und neue Prioritäten innerhalb der europäischen Haushalte wird man damit aber nicht herumkommen.

Die britische Labour-Regierung hat das bereits erkannt und will die Erhöhung ihrer Verteidigungsausgaben auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zum Teil durch harte Einschnitte in der Entwicklungshilfe bezahlen. Ob das klug ist oder die Briten sich dadurch noch mehr Konflikte und Flüchtlinge ins Königreich holen, ist durchaus umstritten. Es zeigt aber, dass selbst ein Land ohne Schuldenbremse seine Sicherheit nicht nur auf Pump finanzieren kann.

Friedensdividende ist aufgebraucht

Deutschland und Großbritannien gaben zur Zeit des Kalten Kriegs noch mehr als fünf Prozent ihrer Wirtschaftskraft für die eigene Verteidigung aus. Nach dem Fall der Mauer sanken die Rüstungsausgaben dann bis auf 1,2 beziehungsweise zwei Prozent – und die Friedensdividende floss in höhere Sozialausgaben, unter anderem für Gesundheit, Bildung und Renten.

Handelsblatt-International-Correspondent Torsten Riecke analysiert jede Woche in seiner Kolumne interessante Daten und Trends aus aller Welt. Sie erreichen ihn unter riecke@handelsblatt.com. Foto: Klawe Rzeczy

Wer verhindern will, dass die Aufgaben des Staates demnächst wie von Elon Musk in Amerika mit der Kettensäge zurechtgestutzt werden, muss jetzt das Gespräch darüber beginnen, was wir uns leisten können, wollen und müssen.

Fergusons Gesetz gilt auch für Trump

Es ist übrigens nicht so, dass Amerika dieser Schicksalsfrage entgehen könnte. So weist der schottische Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson darauf hin, dass von den Habsburger Königen im 16. Jahrhundert bis zu Trump 2.0 die eiserne Regel gilt: „Jede Großmacht, die mehr für den Schuldendienst als für die Verteidigung ausgibt, läuft Gefahr, nicht mehr zu den Großmächten zu gehören.“

Die USA haben diese Haushaltsregel im vergangenen Jahr erstmals seit 100 Jahren wieder gebrochen. Trump hat zudem gerade ein Budget vorgelegt, durch das das Defizit und die Schulden weiter steigen könnten.

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Der US-Präsident setzt sich zwar laufend über Regeln hinweg, doch „Fergusons Law“ (benannt übrigens nicht nach dem Wirtschaftshistoriker, sondern nach dessen Namensvetter Adam Ferguson) könnte auch seinen Großmachtambitionen zum Verhängnis werden.

Mehr: „Klare und gegenwärtige Gefahr für Europa“ – Von der Leyen plant Sondervermögen für Verteidigung

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