Kolumne – „Globale Trends“ Nichts wirft bessere Renditen ab als Fluchtursachen-Bekämpfung
Schon vor der an diesem Montag in Genf stattfindenden Geberkonferenz für Afghanistan hat Entwicklungsminister Gerd Müller eine grundlegende Reform der Not- und Entwicklungshilfe unter der Prämisse gefordert: „Es gilt, vorsorgend zu investieren.“
Was er damit meint, zeigt jetzt eine neue Studie der Weltbank über den zu erwartenden Flüchtlingstreck von Menschen, die vor der Klimakatastrophe fliehen. Demnach werden fast 220 Millionen in sechs Weltregionen bis 2050 aus Angst vor Dürre, Flut, Missernten und anderen vom Klimawandel ausgelösten Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen.
Mehr als 80 Prozent von ihnen könnten nach Schätzungen der Weltbank zum Bleiben bewegt werden, wenn der Kampf gegen die Erderwärmung bei der Migrations- und Entwicklungspolitik in allen Ländern schon jetzt eine größere Rolle spielen würde. Auch wenn dafür erhebliche Finanzmittel notwendig sind: Von einem solchen „return on investment“, um in Müllers Bild zu bleiben, können Finanzprofis nur träumen.
Was hat das mit Afghanistan zu tun? Nun, nach Meinung von Experten flieht der größere Teil der Afghanen nicht vor den Taliban, sondern vor der dortigen Dürre und drohenden Hungersnot. Das Land am Hindukusch gehört zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen und zu den Ländern, die sich aufgrund ihrer Armut am wenigsten dagegen schützen können.
Und was hat das mit uns zu tun? Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat mit Blick auf Afghanistan und die Flüchtlingskrise vor sechs Jahren die Parole ausgegeben: „2015 darf sich nicht wiederholen.“ Das dürfte in Deutschland die Mehrheitsmeinung sein. Wenn Laschet und Co. das ernst meinen, sollten sie nicht nur nach Zentralasien schauen. Einige der größten Hotspots des Klimawandels liegen direkt vor unserer Haustür: Marokko, Algerien und Tunesien drohen demnach zum Hub für Klimaflüchtlinge zu werden.
Allein in Nordafrika könnten sich fast 20 Millionen Menschen auf den Weg machen, getreu dem Motto: „Etwas Besseres als den Tod findest du überall.“ Die neue Weltbank-Studie hat zwar nur die regionalen Fluchtbewegungen untersucht. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis die Klimaflüchtlinge auf der Suche nach einem besseren Leben auch Grenzen und Meere überqueren.
Glaubt man den Kassandrarufern der Weltbank, könnte Annalena Baerbock von den Grünen mit ihrer düsteren Prognose im Triell am Sonntagabend durchaus recht behalten, dass die nächste Bundesregierung womöglich die letzte sein wird, die die schlimmsten Folgen des Klimawandels noch aktiv stoppen kann.
Soforthilfe lohnt sich
Ohne Sofortmaßnahmen entfernt sich die Welt nämlich immer weiter vom Pariser Klimaziel, das die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen soll. Stattdessen, so die Weltbank, drohe bis zum Jahr 2100 ein Temperaturanstieg um bis zu drei Grad. Das hätte insbesondere für die ärmeren Regionen der Welt dramatische Folgen und könnte dort mehrere Hundert Millionen Menschen in die Flucht treiben.
Der Klimawandel hat viele Gesichter. Er zeigt sich in den am stärksten betroffenen Ländern durch Wasserknappheit und dramatisch sinkende Ernteerträge. Er zeigt sich durch Sturmfluten und steigende Meeresspiegel an den Küsten, wo oft bewohnte und landwirtschaftlich genutzte Flächen unwiederbringlich verloren gehen. Und er hat das Gesicht von extremen Naturkatastrophen, die wir mittlerweile selbst in Deutschland zu spüren bekommen.
Anders als hierzulande, wo es für die meisten Gebiete nach dem Flutdesaster vom Sommer bereits Wiederaufbaupläne gibt, mache der Klimawandel in ärmeren Ländern ganze Regionen unbewohnbar, warnt die Weltbank.
Was tun? Die naheliegende Forderung ist, die 2015 in Paris vereinbarten und demnächst in Glasgow zu überprüfenden Ziele für die Verringerung der Treibhausgase endlich ernst zu nehmen und umzusetzen. Darüber hinaus muss die Anpassungsfähigkeit an Klimarisiken zu einem Kern künftiger Entwicklungspolitik gemacht werden. Konkret heißt das, Resilienz und „Green Deals“ muss es nicht nur in den reichen Industrieländern geben, sondern gerade auch in den Frontstaaten des Klimawandels.
Ein Problem, das es juristisch gar nicht gibt, klopft an Europas Türen
Selbst wenn es gelingen sollte, die Migrationsbewegungen dadurch zu reduzieren, werden weiter Klimaflüchtlinge an die Tür Europas klopfen. Wie wenig vorbereitet wir darauf sind, zeigt sich schon daran, dass es das Wort „Klimaflüchtlinge“ nach Meinung der Bundesregierung eigentlich gar nicht gibt.
Als der Menschenrechtsauschuss der Vereinten Nationen Anfang 2020 in einem von vielen als „historisch“ bezeichneten Votum entschied, dass Klimaflüchtlingen das Recht auf Asyl nicht verweigert werden könne, wenn ihr Leben in Gefahr sei, stellte Berlin klar, dass diese Menschen in Deutschland weder Asyl noch Flüchtlingsschutz einfordern könnten.
Dem Härtetest können wir dadurch allerdings nicht entgehen: Wenn die Klimarisiken lebensbedrohend werden, könnten sich die Flüchtlinge auf das Abschiebeverbot berufen, das sie vor einer Abschiebung in Gebiete schützt, wenn dort eine „erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit“ besteht. Das ist jedoch genau das, wovor der neue Report der Weltbank warnt.
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