Kolumne „Globale Trends“ Pekings Tech-Attacke beschleunigt die Abkopplung von den USA
„Techlash“ und „Decoupling“ waren bislang zwei Kampfbegriffe aus der amerikanischen Politik. Seit einigen Wochen macht China den USA jedoch die Wortführerschaft streitig: Peking legt nicht nur seine vom Staat hochgezüchteten Tech-Ikonen mit einer Entschlossenheit und Geschwindigkeit an die Kette, dass den US-Trustbustern die Spucke wegbleibt. Der Frontalangriff auf Alibaba, Tencent und Didi beendet auch die Liebesaffäre der Wall Street mit chinesischen Börsenlieblingen aus dem Tech-Sektor.
Was ist passiert? Ausgerechnet in der Woche, in der Google, Apple und Co. Rekordergebnisse vermeldeten, verloren die in den USA gelisteten Tech-Konzerne „made in China“ mehr als 400 Milliarden Dollar ihres Marktwerts. Der Nasdaq Golden Dragon Index mit 100 in den USA notierten chinesischen Firmen büßte innerhalb von zwei Tagen 15 Prozent seines Werts ein und lag zwischenzeitlich 45 Prozent unter dem Niveau im Februar.
Ausgelöst wurde der Erdrutsch chinesischer Tech-Werte an der Börse durch neue, strenge Vorschriften für private Anbieter von Onlinebildung, die sich auf Wunsch Pekings in Non-Profit-Organisationen umwandeln und auf ausländisches Kapital verzichten sollen. Zuvor hatte Chinas Führung bereits die Börsenpläne von Alibabas früherer Fintech-Tochter Ant durchkreuzt und den Börsenstart des Fahrdienstleisters Didi zu einer Crash-Landung werden lassen. Kurz danach verhängte Peking eine Rekordstrafe von 2,3 Milliarden Euro gegen den von Jack Ma gegründeten Alibaba-Konzern.
In der gesamten Tech-Branche Chinas werden Unternehmen von verschiedenen Behörden derzeit gezwungen, neue Arbeitsschutzregeln, Vorschriften für den Datenschutz und strengere Anforderungen für die Cybersicherheit umzusetzen. Das trifft selbst Ikonen wie Tencent, dessen Nachrichtendienst Wechat kurzfristig einen Aufnahmestopp für neue Nutzer verhängte, um den Vorgaben aus Peking nachzukommen.
Offenbar sind Chinas starkem Mann Xi Jinping die einst als technologische Pioniere für den Wiederaufstieg des Landes auserkorenen Tech-Giganten zu mächtig geworden. Ein mulmiges Gefühl, das er durchaus mit US-Präsident Joe Biden teilt. Doch anders als in den USA, wo der „Techlash“ der Wettbewerbshüter gegen Facebook gerade von den Gerichten gebremst wurde, kann das autoritäre Regime in Peking durchgreifen. Einige Beobachter vermuten gar, Xi habe das strategische Interesse an dem konsumorientierten Tech-Sektor verloren und setze stattdessen stärker auf eine industrielle Weltmarktführerschaft.
Chinas harte Hand trifft auch die Wall Street
Was auch immer hinter den Plänen der chinesischen Führung stecken mag, der „Techlash“ made in China beschleunigt die wirtschaftliche und finanzielle Abkopplung zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Erde. Auch wenn chinesische Offizielle versuchen, Banken und Investoren vom Gegenteil zu überzeugen, und versprochen haben, demnächst stärker auf die potenziellen Marktreaktionen ihrer Regulierungsbemühungen zu achten.
Der Chef der amerikanischen Börsenaufsichtsbehörde SEC, Gary Gansler, hat jetzt angekündigt, dass chinesische Börsenaspiranten in den USA künftig mehr Auskunft darüber geben müssten, welche regulatorischen Risiken sie mit nach Amerika bringen. Das soll US-Investoren schützen, die von den jüngsten Tech-Attacken Pekings überrascht wurden und dadurch viel Geld verloren haben.
Der Wunsch der Amerikaner nach mehr Transparenz könnte jedoch der Parole Pekings nach verstärkten Sicherheitsmaßnahmen seiner Tech-Konzerne entgegenstehen und die Unternehmen in eine ausweglose Zwickmühle bringen. Fahrdienstvermittler Didi soll nach seinem missglückten Börsenstart angeblich bereits über ein „Going Private“ nachdenken, um nicht weiterhin zwischen die Fronten Pekings und Washingtons zu geraten. Didi hat das dementiert.
Die interessantere Frage ist jedoch, inwieweit Pekings „Techlash“ die hitzige Debatte in den USA über eine stärkere Regulierung der Superstars aus dem Silicon Valley beeinflusst. Misst man den Erfolg der Wettbewerbshüter nur an den Börsenreaktionen, müssten sich die amerikanischen Kartellwächter eigentlich ein Beispiel an ihren Kollegen in China nehmen: Während der Marktwert der chinesischen „Big Five“ in diesem Jahr um mehr als 150 Milliarden Dollar gesunken ist, hat sich der Wert der amerikanischen „Big Five“ um unglaubliche 1,5 Billionen Dollar erhöht.
Der Zuspruch von der Börse für die Zukunftsmacher aus dem Silicon Valley ist jedoch nicht nur Ausdruck ihrer Marktmacht, sondern auch ihrer ungebrochenen Innovationskraft. Um die richtige Balance zwischen der Sonnen- und Schattenseite von Big Tech zu finden, ist es allemal besser, den langsamer mahlenden Mühlen des amerikanischen Systems zu vertrauen als dem autoritären Durchgreifen der Machthaber in Peking.
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