Kolumne – „Globale Trends“ Warum die Terrorgefahr die Finanzmärkte am Ende doch beeindrucken könnte
Es gibt nur wenig, worauf man sich an den Finanzmärkten wirklich verlassen kann. Dass Investoren weltweit in unsicheren Zeiten in amerikanische Anlagen fliehen, ist so etwas wie das Gesetz der Schwerkraft in der Finanzwelt. Selbst wenn die Supermacht USA wie jetzt in Afghanistan vor aller Welt ohnmächtig von den Taliban gedemütigt wird, entfalten Dollar, US-Aktien und Anleihen ihre magnetische Anziehungskraft eines „sicheren Hafens“.
Amerika hat nicht nur die größten Finanz- und Kapitalmärkte, es ist nach wie vor das reichste Land der Erde mit den profitabelsten Unternehmen. Kein Wunder also, dass die Anleger nach dem Afghanistan-Debakel der USA nicht das Weite suchen, sondern – im Gegenteil – noch mehr Geld auf Amerika setzen. Die Kurse von Dollar, Börsen und Staatsanleihen zeigen nach oben.
Das muss aber nicht so bleiben. Ob sich auch diesmal das alte Sprichwort von den kurzen Beinen politischer Börsen wieder bestätigt, ist noch nicht ausgemacht. Selbst wenn die Anleger die Ereignisse am Hindukusch bislang mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen haben, könnten ihre langfristigen innen- und außenpolitischen Folgen noch zu einer Gefahr für die Finanzmärkte werden.
Dass die wirtschaftliche Stärke der USA sich gerade dann zeigt, wenn Amerikas Fehler die Welt gefährlicher machen, galt auch schon für den unrühmlichen Abzug der US-Truppen aus Vietnam, mit dem die Flucht aus Kabul jetzt oft verglichen wird. Nach dem Fall von Saigon am 30. April 1975 beendete der Dow-Jones-Index das schmachvolle Jahr mit einem Plus von fast 40 Prozent.
Wie Vietnam ist Afghanistan wirtschaftlich zu klein, als dass die Machtübernahme der Taliban in Kabul die Weltbörsen erschüttern könnte. Wichtiger aber ist, dass es zu amerikanischen Anlagen in Krisenzeiten keine wirkliche Alternative gibt. Die angeschlagene Supermacht ist für Investoren immer noch attraktiver als das noch schwächer dastehende Europa und das mit politischen Risiken gepflasterte Asien.
Unverwundbar für geopolitische Blessuren sind jedoch auch die US-Märkte nicht. Analysten warnen vor allem vor sogenannten „tail risks“, die nach den Ereignissen in Kabul deutlich gestiegen seien. Gemeint sind damit Gefahren, die nur sehr selten eintreten, wenn aber, verursachen sie oft enorme wirtschaftliche Schäden.
Ein Terroranschlag auf Amerika wie 9/11 könnte demnach solch ein „schwarzer Schwan“ sein. „Das immer vorhandene Risiko eines großen Terroranschlags auf die USA wird durch die Ereignisse in Afghanistan noch größer“, sagt Mark Rosenberg von der Risikoberatung GeoQuant. Die Anschläge eines radikalen Ablegers des Islamischen Staats (IS) zeigen, wie real die Terrorgefahr ist. Islamistische Gotteskrieger in anderen Ländern werden sich durch die Schmach Amerikas in Afghanistan ermuntert sehen, es der Supermacht zu zeigen.
Hohe politische Risiken durch eine wieder wachsende Terrorgefahr können die Finanzmärkte durchaus beeindrucken. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf New York und Washington sackte der S&P-500-Index in seiner ersten Handelswoche nach der Wiedereröffnung um fast zwölf Prozent ab. Ein Börsenvermögen von 1,4 Billionen Dollar löste sich in Luft auf. Es dauerte zwar nur ein paar Monate, bis der Kursrutsch verarbeitet war, aber den Anlegern ist das Terrortrauma im Gedächtnis geblieben.
Flughafen Kabul unter Beschuss
Zumal solche politischen Schocks auch deshalb gefährlich für die Finanzmärkte sind, weil sie bereits vorhandene Negativtrends verstärken können. Die Attacken von 9/11 beschleunigten die Rezession der US-Wirtschaft, die durch das Platzen der Dotcom-Blase ausgelöst wurde und bereits im März 2000 begonnen hatte. Die Baisse an den Börsen dauerte noch bis zum Oktober 2002 und endete mit einem Verlust von 38 Prozent des Dow Jones verglichen mit seinem Höchststand im Januar 2000.
Im Moment warten die Märkte nervös auf die geldpolitische Wende der amerikanischen Notenbank. Käme ein politischer Tiefschlag zusammen mit dem Ende der lockeren Geldpolitik, würde es für Anleger auch im sicheren Hafen Amerika ungemütlich.
Selbst ohne einen neuen Terroranschlag könnte das Afghanistan-Desaster zu innenpolitischen Nachbeben in den USA führen und so der amerikanischen Wirtschaft indirekt schaden. Sollte die Schmach von Kabul US-Präsident Joe Biden politisch derart schwächen, dass sowohl sein eine Billion Dollar teures Infrastrukturpaket als auch sein 3,5 Billionen schwerer Haushalt kurz vor der Ziellinie noch ins Stocken geraten, dürfte die Enttäuschung an den Finanzmärkten groß sein.
Mehr: Alle aktuellen Entwicklungen können Sie in unserem Afghanistan-Newsblog verfolgen.
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