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  4. Indien zeigt, warum die Welt Worldcoin nicht braucht

Kolumne – Asia TechonomicsSam Altmans Worldcoin verspricht, was Indien längst hat

Der OpenAI-Gründer wirbt für sein Biometrieprojekt als digitalen Identitätsnachweis. Dabei gibt es schon eine funktionierende Lösung, die Hunderte Millionen Menschen nutzen.Mathias Peer 10.08.2023 - 15:19 Uhr
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In der wöchentlichen Kolumne schreiben Handelsblatt-Korrespondenten im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.

Foto: Klawe Rzeczy

Worldcoin, das neue Kryptoprojekt von OpenAI-Gründer Sam Altman, hat große Ambitionen. Es will eine globale Datenbank von Millionen, wenn nicht gar Milliarden Menschen aufbauen, die sich über Irisscans eindeutig identifizieren – und über die hauseigene Kryptowährung Finanzgeschäfte durchführen können. Ziel ist laut Altman, eine Infrastruktur zu schaffen, die die Zahlung eines universellen Grundeinkommens ermöglicht – und dabei sicherzustellen, dass nur echte Menschen registriert sind.

Für die Anmeldung schickt „Tools for Humanity“, das Unternehmen hinter Worldcoin, gerade silberne Geräte in Form einer Bowlingkugel durch die Metropolen der Welt. Diese sogenannten „Orbs“ scannen mit einer Kamera Augen von Interessenten und sorgen dafür, dass die Teilnehmer ihre „World ID“ erhalten – nach Beschreibung des Unternehmens eine Art digitaler Pass, der das Menschsein der Inhaber unter Beweis stellen soll.

Auch in Indien, etwa der Metropole Bangalore, machten die „Orbs“ zuletzt halt und stießen auf reges Interesse – vorwiegend offenbar, weil jeder neue Nutzer zum Start ein paar Worldcoin-Token umsonst erhält. Die Technologie dahinter sorgt in Indien aber eher für Skepsis. Dabei geht es primär nicht einmal um Datenschutzbedenken, die unter anderem in Deutschland laut wurden und in Kenia gar zu einem Verbot des Projekts führten. Was indische Beobachter verwundert, ist vielmehr, dass Altmans vermeintliche Innovation in Indien bereits seit Jahren Alltag ist. Die Probleme, die der Silicon-Valley-Unternehmer angehen will, hat das Schwellenland längst gelöst.

Zahlenmäßig ist Indien Worldcoin weit voraus

Das biometrische Identifikationssystem, das in Indien in den vergangenen Jahren unverzichtbar geworden ist, heißt Aadhaar. Wie „World ID“ basiert Aadhaar auf Irisscans, zudem geben Teilnehmer Fingerabdrücke und persönliche Daten wie ihr Geburtsdatum ab.

Eingeführt wurde das System bereits vor knapp anderthalb Jahrzehnten, den Durchbruch feierte es aber erst in den vergangenen Jahren, als die Aadhaar-Identifikationsnummer verpflichtend wurde, um eine Reihe von Sozialleistungen beziehen zu können. Bei der Online-Identifikation zur Eröffnung von Bankkonten oder der Beantragung einer neuen Mobilfunknummer ist Aadhaar zwar nicht verpflichtend – wegen der einfachen, digitalen Ausweismöglichkeit ist das System aber auch im Privatsektor allgegenwärtig.

Zahlenmäßig ist Aadhaar Worldcoin erheblich voraus. Während sich bei Worldcoin seit dem Start der Beta-Phase vor zwei Jahren inzwischen rund 2,2 Millionen Nutzer angemeldet haben, hat Aadhaar bereits mehr als 1,3 Milliarden Menschen registriert. Worldcoin-Gründer Altman schwärmte Ende Juli, dass sich derzeit im Schnitt alle acht Sekunden ein neuer Nutzer die Iris scannen lässt.

Weitere Teile der Serie Asia Techonomics:

Mit dieser Geschwindigkeit würde er aber mehr als 300 Jahre brauchen, um dem Umfang der indischen Biometriedatenbank auch nur nahe zu kommen. Indien hatte für die Vermessung seiner Bevölkerung zwar keine futuristisch aussehenden „Orbs“ zur Verfügung, mit ihren unspektakulären Registrierungsstellen erreichten die Behörden aber immerhin so gut wie jeden Winkel des bevölkerungsreichsten Landes der Welt.

Die Erfahrung des Schwellenlandes weckt große Zweifel daran, ob wirklich ein profitorientiertes, privates Start-up am besten dafür geeignet ist, Identifikationsmöglichkeiten für die digitale Welt zu schaffen – oder ob eine leistungsfähige staatliche Verwaltung für diese Aufgabe nicht wesentlich besser geeignet ist.

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Der Gründer von OpenAI will eine Art digitalen Pass schaffen.

Foto: Bloomberg/Getty Images

Auch auf Altmans Wunsch, mit Worldcoin die finanzielle Inklusion zu stärken, hat man in Indien längst eine Antwort: Mit mit Aadhaar verbundenen Bankkonten lassen sich nicht nur staatliche Transferzahlungen empfangen, das Identifikationssystem lässt sich auch mit Indiens digitalem Bezahlsystem UPI verknüpfen, das Echtzeittransaktionen per Mobiltelefon allgemein zugänglich gemacht hat.

Die Details der in Indien massenhaft genutzten Technologie und des Kryptoansatzes von Sam Altman unterscheiden sich freilich. Doch das indische Beispiel zeigt klar: Für die prinzipielle Idee eines Systems, mit dem Menschen von Bots zu unterscheiden sind und das Geldtransfers einfach ermöglicht, braucht die Welt keine von Wagniskapitalgebern angetriebenen Start-ups aus Kalifornien. Erfolgsbeispiele aus einem Milliardenvolk bieten Inspiration genug.
Mehr: Finanzaufsicht Bafin ermittelt zu Digitalwährung Worldcoin

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