Kolumne „Out of the box“: Wie kontrolliert man die Zukunft?

Wenn die Welt zunehmend aus den Fugen gerät, will der Manager zumindest die Zahlen im Griff und unter Kontrolle haben. Er rechnet, kalkuliert und trackt, was das Zeug hält und Excel hergibt.
Unternehmen sind auf Planungs-, Liefer-, Arbeitsplatz- und Datensicherheit gebaut. Die Zukunft, die Märkte und das vierte Quartal müssen kalkulierbar sein. Nichts nervt Investoren, Geschäftsführer und Betriebsräte mehr als unvorhergesehene Entwicklungen. So wird die Zukunft in Tabellen gepackt, Zahlen in Realtime gemessen und gemeldet, damit die aufgewühlte Managerseele Ruhe hat und das Unternehmen nicht vom Weg abkommt. Darüber ist der Generaldirektor alter Tage zum Mikromanager von heute mutiert.
Allen Fünf-Jahres-Plänen zum Trotz macht die Realität doch, was sie will und was so niemand geplant hatte. Zölle kommen über Nacht, die Lieferkette reißt, Kunden springen auf Billigware aus China – selbst bei Autos.
Mercedes, BMW, Volkswagen, Audi – alle haben große Pläne geschmiedet und sich verkalkuliert. Jeder hat Millionen an Berater überwiesen, Gigabytes an Powerpoint-Folien beschriftet, beschlossen und abgespeichert. Und jeder ist vom Weg abgekommen und aus der Spur. Mitarbeiter werden zu Tausenden auf die Straße gesetzt, auch bei den Tech-Giganten und größten Beratungsunternehmen der Welt – inklusive des Weltmarktführers McKinsey, was nicht ohne Ironie ist.
Es scheint, dass aller Planung zum Trotz der Weg in die Zukunft ein Blindflug bleibt. Das Management sitzt auf dem Schleudersitz vorn im Cockpit, die Hand fest am Knüppel, entschlossen, die Maschine auf Kurs zu halten, um sie sicher durch den Nebel und aufziehende Gewitterfronten zu steuern, komme, was wolle.
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Das Mittel der Wahl ist noch mehr Kontrollleuchten im Cockpit. Die KI hat für alles eine Erfolgsformel und ein Dashboard: Click-Through-Rate, Lifetime-Value, Net-Promoter-Score. Alles kommt auf das Radar und vermittelt dem Chefpiloten das Gefühl, er hat alles im Blick.
So verständlich dieses Sicherheitsbedürfnis ist, so gefährlich ist es auch. Es gaukelt eine Scheinsicherheit vor, die es nicht gibt. Dezidierte Planung macht blind für die ungeplante Gelegenheit. Der Kontrollfetisch macht Menschen und Unternehmen unfähig, mit der Unplanbarkeit des Lebens umzugehen. Microsoft hatte vor lauter Planung und Kontrolle jahrelang übersehen, dass Suchmaschinen und Smartphones die digitale Welt aus den Angeln heben würden. Sie verkauften weiter wie seit Jahren geplant MS Office und verpassten um ein Haar den Anschluss.
Doch Planwirtschaft hat auch im Osten unserer Republik jahrzehntelang nicht funktioniert. So sollten Unternehmen ihr Geld nicht nur in Tracking, sondern auch in ihre Anpassungsfähigkeit investieren. Darwin hat es bekanntlich zum Überlebensprinzip erklärt.
Eins sollten Unternehmen mit einplanen. Der Mensch ist ein unkalkulierbares Wesen, ob als amerikanischer Präsident oder E-Auto-Käufer. Der Homo oeconomicus – also das Modell des rein nutzenorientierten Menschen – war nichts mehr als ein Hirngespinst. Unternehmen sammeln Berge von Daten und verlieren dabei die beiden zentralen Treiber für unternehmerischen Erfolg aus dem Auge: den Menschen und den Zufall.
Unsicherheit ist nicht das Ende, sie ist der Anfang von Einfallsreichtum. Selbst dem größten Möbelhändler des Planeten konnte der ungeplante Zufall auf die Sprünge helfen: IKEA. Ingvar Kamprad, der Unternehmensgründer, hatte die zündende Idee in einem Moment großer Not. Genervt von Kamprads ewiger Preisdrückerei hatte sein Lieferant gekündigt. Der Unternehmer musste improvisieren. Er kam auf die geniale Idee, Möbel flach zu verpacken und Kunden selbst mit dem Inbusschlüssel zu Möbelmonteuren zu machen.
Unsicherheit weckt Erfindungsgeist. Unvorhersehbare Ereignisse führen nicht zu Katastrophen, sondern zu Gedankensprüngen, und diese wirken erstaunlich oft geschäftsfördernd. In Coronazeiten wurde Undenkbares denkbar und machbar. Die Fähigkeit, völlig außerplanmäßig Gelegenheiten beim Schopfe zu packen, ist lebenswichtig für unternehmerischen Erfolg.



Kontrolle ist gut, aber Beweglichkeit ist besser. Die Chefetagen sind darauf geeicht, Risiken zu vermeiden. Doch Führung in unsicheren Zeiten verlangt nicht, die Kontrollmechanismen zu maximieren. Sie verlangt, Orientierung zu geben, ohne alle Antworten zu kennen.
Unsicherheit zwingt Unternehmen, kreativ zu denken, wachsam zu bleiben und schneller zu handeln. Sie war immer schon ein Treiber von Innovation und Motor des Fortschritts. Planen wir das mit ein.





