Kolumne „Kreative Zerstörung“ Ozy Media – Das Paradebeispiel für Deepfake Business

Miriam Meckel ist deutsche Publizistin und Unternehmerin. Sie ist Mitgründerin und CEO der ada Learning GmbH. Außerdem lehrt sie als Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen.
An den Business Schools der US-Eliteuniversitäten wird daraus sicher einmal eine „Case Study“. Ein Beispiel, anhand dessen Nachwuchsmanager*innen lernen können, wie man es nicht machen sollte. Die Geschichte vom Aufstieg und Niedergang des US-Medienunternehmens Ozy Media könnte der mondänste Fall des Jahrzehnts werden – als Paradebeispiel für Deepfake Business.
Ozy Media wollte den Journalismus neu erfinden, wuchs innerhalb weniger Jahre, vor allem mit Youtube-Shows, zum Vorzeigebeispiel dafür, dass auch digitaler Journalismus funktionieren kann. In diesem Sommer wurde das Unternehmen mit 450 Millionen Dollar bewertet. Der charismatische Gründer Carlos Watson drehte das ganz große Rad: Newsletter auf Newsletter, eine von ihm moderierte Show nach der anderen. Als Gäste kamen viele Stars aus Politik, Wirtschaft und Gründerszene. Die Witwe von Steve Jobs investierte ebenso wie der Ex-Chefjustiziar von Google und der Springer-Verlag.
Aber Ozy Media war nur die Attrappe eines Geschäftsmodells, nur die Illusion von Wachstum. Als „potemkinsches Dorf“ bezeichnete ein entlassener Mitarbeiter die Erfolgsshow, die Watson rund um Ozy aufgezogen hatte. Die große Entzauberung kam, als Ozy eine weitere 40 Millionen Dollar schwere Finanzierungsrunde mit Goldman Sachs durchziehen wollte. Es fehlte nur noch die Bestätigung, wie unglaublich erfolgreich die Ozy Shows auf Youtube liefen.
In der finalen Besprechung sollte ein Youtube-Manager zugeschaltet werden, um live die Millionen Views für Ozy-Videos zu bezeugen. Nach ein paar vermeintlichen Zoom-Problemen wechselte man aufs normale Telefon. Der Mann lieferte die geplante Begeisterung, aber irgendetwas kam den Investmentbankern von Goldman komisch vor. Also meldeten sie sich später bei Youtube zurück. Dort trafen sie auf einen verdutzten Menschen, der noch nie zuvor mit ihnen gesprochen hatte. So stellte sich heraus: Der Co-Gründer von Ozy hatte sich im Call als Youtube-Manager ausgegeben. „Fake it till you make it“, wie man im Silicon Valley so schön sagt.
Der Spruch stammt nicht von Carlos Watson, sondern von Tesla-Gründer Elon Musk, dem alle so lange alles vergeben, wie er es immer wieder schafft, irgendwann tatsächlich die versprochene Leistung, den versprochenen technischen Durchbruch zustande zu bringen. Andere, die das nicht schaffen, zum Beispiel die Theranos-Gründerin Elizabeth Holmes, können auf weniger Reputationsgnade hoffen. Sie steht derzeit wegen Betrugs vor Gericht.
Ozy Media: Schon 2017 gab es Gerüchte um geschönte Metriken
Ozy Media ist ein besonders interessanter Fall. Zum einen, weil es schon eine ausgemachte Frechheit ist, in einer Investmentrunde einen externen Experten durch die eigenen Leute zu ersetzen, um mit der aufgebauten Betrugsgeschichte weiter durchzukommen. Zum anderen, weil es für solche Zwecke inzwischen Technologien gibt, die das besonders einfach machen. Eine KI-generierte Stimme hatte schon 2019 den Geschäftsführer eines britischen Energieunternehmens dazu gebracht, 220.000 Euro auf ein ungarisches Konto zu überweisen. Angeblich hatte ihm der CEO des deutschen Mutterkonzerns telefonisch die Anweisung dazu gegeben. Das aber war schlicht ein Betrüger, der mithilfe von KI-gestützter Voice-Technologie dem echten Manager zum Verwechseln ähnlich klang.
Gleiches gelingt, mit mehr Zeit- und technischem Aufwand, in der Herstellung von gefälschten Videos, in denen Stimme und Körpergestik zu einem beeindruckenden Täuschungsmanöver zusammengeführt werden können. In Zeiten digitaler Medien muss man sich vor jeder Entscheidung fragen: Wer ist das wirklich?
Schließlich wuchs Ozy Media mitten im Zentrum einer der Branchen, die ganz besonders von den betrügerischen Manipulationsmöglichkeiten betroffen sind. Im Sektor der digitalen Medien und Werbung ist „Click Fraud“ besonders verbreitet. Durch den Einsatz von Bots, die immer wieder bestimmte Links aktivieren, lassen sich Werbeeinnahmen, Suchmaschinen-Rankings und Nutzerzahlen rasant manipulieren. Schon 2017 hatte es Gerüchte gegeben, Ozy Media nutze fragwürdige Mittel, um die eigenen Metriken nach oben zu treiben. Erst vier Jahre später ist das Unternehmen aufgeflogen und untergegangen.
Die Verblendung ist ein Topos der Menschheits- und Unternehmensgeschichte. Und sie betrifft nicht nur diejenigen, die täuschend agieren, sondern immer auch diejenigen, die sich täuschen lassen. Früher brauchte es dazu eine gute Geschichte, die doch schnell entzaubert war. Heute lässt sich im Deepfake Business die Geschichte technisch mit falschen Zahlen und Metriken so lange aufblasen, bis der Glaube an die Fälschung an sich unvorstellbar scheint.
Für alle, die den Grenzverlauf zwischen Real- und Fakewirtschaft noch mal nachvollziehen wollen: Es reicht, eine einzige Frage zu beantworten. Schaffe ich einen Wert, der über die Kapitalisierung des Unternehmens hinausgeht?
In dieser Kolumne schreibt Miriam Meckel 14-täglich über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt und ein besseres Leben möglich machen. Denn was die Raupe Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt Schmetterling. ada-magazin.com
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