Der Transformer Algorithmen in der Grundschule

Nico Lumma ist freier Berater und gehört zu den wichtigsten Internet-Köpfen in Deutschland.
In England beginnt mit dem neuen Schuljahr etwas, was in Deutschland derzeit undenkbar ist: Es wird für alle Schülerinnen und Schüler zwischen 5 und 15 Jahren verbindlich das Schulfach Programmieren geben.
Dieser Schritt erfolgte vor allem aus zwei Gründen. Die konservative (sic!) Regierung in Großbritannien hatte erkannt, dass die Schülerinnen und Schüler in internationalen Vergleichen immer weiter den Anschluss verlieren. Der zweite Grund ist allerdings noch viel naheliegender: Untersuchungen hatte ergeben, dass die klassische Art des Informatikunterrichts vor allem die Vermittlung von Office-Kenntnissen beinhaltete und dies sowohl die Schülerinnen und Schüler, als auch die Lehrer langweilte.
Also verkündete Education Secretary Michael Gove im Juli vor einem Jahr einen neuen Lehrplan mit einem Pflichtfach Programmieren. Gove hat zwei Kinder im Teenager-Alter und weiß daher vermutlich recht gut, wie der Unterricht in der Praxis aussieht.
In Deutschland wäre so etwas nicht möglich, nicht nur wegen des föderalen Systems, sondern weil der Druck von Elterninitiativen, Lehrerverbänden und anderen Besitzstandswahrern viel zu groß werden würde. Auf den Stress können die meisten Bildungspolitiker verzichten. Daher werden auch 2014 lieber Pilotschulen vorgestellt, die mit Tablets ausgestattet werden, anstatt mal wirklich etwas Neues zu wagen.
Dabei sorgt eine frühe Beschäftigung mit dem Programmieren für die Lösung eines Problems, das dieser Tage angeregt diskutiert wird: Es gibt zu wenig Frauen, die programmieren können. Dementsprechend gibt es auch viel weniger Frauen, die im IT-Bereich Start-ups gründen und einen generellen Männerüberhang in vielen Berufsfeldern der Kreativwirtschaft.
Führt man Mädchen und Jungen frühzeitig an das Programmieren heran, bekommen sie nicht nur ein Verständnis davon, wie sehr Software viele Aspekte des Lebens bereits jetzt schon beeinflusst, sondern nähern sich dem Thema spielerisch und unvoreingenommen, ohne in überkommende Rollenmuster zu verfallen.
Unsinnige Umwege über den Kopierer
In Großbritannien ist bereits 2013 die Erkenntnis gereift, dass man mit dem bestehenden Fächerkanon keine zeitgemäße Bildung mehr anbieten kann; in Ländern wie Estland wird bereits seit Jahren viel mehr Wert auf das Programmieren gelegt. Daher wird es auch in Deutschland höchste Zeit, dass sich etwas ändert. Dabei geht es nicht darum, dass die Schule Heerscharen von Programmierern hervorbringt, sondern darum, dass Kinder verstehen lernen, wie das funktioniert, was ihr Leben immer mehr beeinflusst.
Es ist geradezu lächerlich, dass immer noch nicht jedes Kind ein Tablet zur Verfügung gestellt bekommt. Anstatt langfristig zu denken und frei verfügbare digitale Lehrmittel zu entwickeln und zu nutzen – Open Educational Resources (OER) lautet das Stichwort –, wird immer noch das Oligopol der Schulbuchverlage aus den klammen Haushalten der Kommunen finanziert.
Das Geld ist viel besser angelegt in Lehrmittel, die Lehrerinnen und Lehrer befähigen, ihren Unterricht selbst zusammenzustellen und an die Schüler zu verteilen, und zwar ohne unsinnige Umwege über die Kopierer. Das bedeutet natürlich nicht, dass nicht auch weiterhin mit Papier und Stift gearbeitet wird, sondern vor allem, dass Unterrichtsmaterialien aktueller und besser verfügbar sind, aber auch die Möglichkeit zur Lernkontrolle bieten können.
Digitale Lehrmittelfreiheit plus Tablets für jeden Schüler sollte die Grundlage für die moderne Schule sein. Aber nein, das wäre ja zu viel Veränderung, das kann man ja weder den Schulen, noch den Lehrerinnen und Lehrern zumuten, und schon gar nicht den Schulbuchverlagen, die dann ihr Geschäftsmodell verändern müssten.
So kommen wir nicht weiter und in drei bis fünf Jahren werden wir nicht mehr nur sehnsüchtig nach Skandinavien gucken, weil Schule dort besser funktioniert, was auch erst seit Jahrzehnten bekannt ist, sondern auch nach Großbritannien, weil dort an Grundschulen Apps entwickelt werden und immer mehr junge Frauen in die IT-Branche wollen.
Eine Agenda 2020 für die Bildung wäre sicherlich nicht in allen Wählerschichten populär, sie ist aber längst überfällig. Die Kinder werden es uns danken.
Nico Lumma ist einer führenden Internet-Köpfe in Deutschland. Er arbeitet als selbstständiger Berater und Autor in Hamburg, ist Co-Vorsitzender von „D64 - Zentrum für digitalen Fortschritt“ und Mitglied in der medien- und netzpolitischen Kommission des SPD Parteivorstandes. Er bloggt auf lumma.de.
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Es geht nicht nur darum, schon von Kindesbeinen ein tieferes Verständnis für das Programmieren zu entwickeln, sondern auch um die Vermittlung von Methodenkompetenz und den richtigen Umgang mit den heute omnipräsenten digitalen Medien. Von daher wäre die Aufnahme von IT-Inhalten in den Schulkanon sehr zu begrüßen. Es geht nicht darum „Rohlinge für die Wirtschaft“ zu pressen, sondern unsere Kinder auf das Leben vorzubereiten. Und dazu gehört neben Mathematik, Religion und der Kunst auch der verantwortungsvolle Umgang mit der digitalen Transformation in allen Lebensbereichen.
@Volker Hetzer
"- die Zeiten sollten eigentlich vorbei sein,..."
Richtig, aber man muß Kinder nicht so erziehen, daß sie ohne Digital-Gimmick vollkommen hilflos sind - da sind viele Erwachsene schon schlimm genug.
Und Überweisungsformulare haben ihren Sinn, denn bedingt durch die Langsamkeit gibt es bessere Kontrollmöglichkeiten (was Fehler betrifft) für den Überweisenden als beim schnellen Klick des Oline-Bankings.
Sie gehen davon aus, daß Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene nicht mehr sind, als Rohlinge für die Industrie. Sind sie aber nicht; sie sind Persönlichkeiten von Anfang an und sollten sich auch als solche entwickeln dürfen. Dazu brauch man soch "unnütze" Fächer wie Religion, bildende Kunst und Musik. Nebenbei: ich hatte in meiner Schulzeit alle drei Fächer gehaßt und erst später den Sinn dieser Fächer erkannt.
@ Hans Kammerer:
"Da lobe ich mir das System der Amerikaner"
Das Bildungssystem der Amis ist so marode, daß es einen nicht zu wundern braucht, warum sich Amerikaner so verhalten, wie sie es in der Welt tun.
Überwacht werden Kinder sowieso, Tablet oder nicht.
Abgesehen davon, Tablet-Nutzung als Nerdigkeit zu sehen - die Zeiten sollten eigentlich vorbei sein, oder? Zumindest ICH fände es deutlich schräger, wenn sich heut noch jemand z.B. ein Lexikon kaufen oder Überweisungsformulare benutzen würde.
Die Wahrheit ist doch, dass wir in Deutschland die Lehrpläne der Schüler mit vielen unnützen Pflichtfächern zugemüllt haben. Wahlmöglichkeiten gibt es nur sehr beschränkt.
Wozu auch solch unnütze Dinge wie Informatik, Rechtskunde, Finanzen, Betriebswirtschaft, Strafrecht, etc. lehren wenn man stattdessen doch von der 1. bis zur 10. Klasse Musik, Bildende Kunst, Religion lehren kann.
Da lobe ich mir das System der Amerikaner. Auch diese haben einen gewissen Pflichtfachkatalog. Daneben kann man jedoch schon ziemlich früh diejenigen Fächer, die einen wenig interessieren beiseite legen und stattdessen sich auf dies konzentrieren, was einem auch wirklich Spaß macht. So entstehen Mathe, Chemie und Physik - Cracks.
"Es ist geradezu lächerlich, dass immer noch nicht jedes Kind ein Tablet zur Verfügung gestellt bekommt."
Damit sie sich von klein auf ans Überwacht-werden gewöhnen und vor dem Tablet ers abstumpfen und dann verblöden. Ansonsten könnten sie ja auf die Idee kommen, eigene Gedanken zu entwickeln und sich zu mündigen Bürgern zu entwickeln.
Vielleicht sehen Sie die Dinge doch ein bißchen zu stark aus der Nerd-Perspektive.
Warum Programmieren nicht Unterrichtsfach ist, daß habe ich mich schon zu meiner Schulzeit gefragt. Ich bin Jahrgang 1965. Dabei müßte das erstellen von eigenen "Apps" doch für Schüler hochattraktiv sein.