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Der Ver(un)sicherer30 Jahre „legaler Betrug“

Fast wäre das Jubiläum unbemerkt vorüber gegangen: Es ist nun 30 Jahre her, dass die Versicherer so erbost waren, dass sie Verbraucherschützer vor den Kadi zerrten und ihnen den Mund verbieten wollten. Was war geschehen?Axel Kleinlein 18.09.2013 - 14:48 Uhr Artikel anhören

Axel Kleinlein gilt aktuell als einer der schärfsten Kritiker der Versicherer. Er ist Vorsitzender des Vorstandes beim Bund der Versicherten.

Foto: Handelsblatt

Schon damals arbeiteten der Bund der Versicherten und die Verbraucherzentrale Hamburg gut zusammen. So veröffentlichten sie gemeinsam eine kleine Broschüre mit dem Titel „Versicherung ja, aber mit Köpfchen!“. Auf knapp 50 Seiten erklärten die Verbraucherschützer die wichtigsten Erkenntnisse zum Thema Versicherungen. Es gab Schaubilder mit wichtigen und unwichtigen Versicherungsarten und kleine lustige Zeichnungen lockerten die trockene Materie auf.

Die Passage zur Lebensversicherung war zum Beispiel durch eine einfache Strichzeichnung illustriert. Eine Mauer mit Graffitis zeigt ein Strichmännchen mit den Schriftzügen „Fritzi ist doof“ und „Lebensversicherung zur Altersvorsorge ist Betrug“. Die letzte Aussage, die sich auch im Text wiederfand, ärgerte die Versicherungsbranche außerordentlich und war Aufhänger für den Streit.

Aber nicht nur das: Im Text fanden sich auch Behauptungen wie etwa, dass bei einer Kapitallebensversicherung die Rendite „oft unter der Inflationsrate liegt“, dass die Versicherten an den hohen Wertsteigerungen der Kapitalanlagen „nur selten beteiligt werden“ und dass der Staat sich bei den Versicherungsunternehmen „billige langfristige Kredite“ verschaffen würde, so dass „man Beiträge für Kapitallebensversicherungen in vielen Fällen als Steuer für Dumme“ bezeichnen könne. Zusätzlich würden „angebliche“ Steuervorteile „zur langfristigen Geldhingabe“ verführen.

Die Versicherungswirtschaft wehrte sich gegen einige dieser Behauptungen und wollte die weitere Verbreitung unterbinden. Gelungen ist ihr das nicht. Seit 30 Jahren darf also die Gleichung
„Lebensversicherung zur Altersvorsorge = Legaler Betrug“
auch nach Ansicht des Landgerichts Hamburg öffentlich verbreitet werden.

Das war 1983, also vor 30 Jahren. Hat sich seitdem etwas verändert? Gehören die damaligen Ansichten des BdV und der VZ-Hamburg auf den Müllhaufen der Versicherungsgeschichte? Leider nein.

Ein Blick auf die Renditen: Der Großteil aller Kunden storniert seinen für die Altersvorsorge gedachten Lebensversicherungsvertrag. Da sind die Renditen dann üblicherweise sehr mies. Im Normalfall der Kündigung trifft die Renditekritik also unzweifelhaft auch heute noch zu. Aber auch für die wenigen Kunden, die bis zum Schluss durchhalten, ist die Rendite nicht zum Jubeln. Das zeigen die letzten Ergebnisse in Ökotest.

Kurz und schmerzhaft: alle Kolumnen Foto: Handelsblatt

Und verschafft sich der Staat auch weiterhin günstige „Kredite“ beim gutgläubigen Bürger, der in die Produkte der Lebensversicherer investiert? Aber sicher! Und das kann man noch nicht mal den Versicherern vorwerfen. Denn der Gesetzgeber schreibt vor, wie die Unternehmen einen Großteil der Kundengelder anlegen müssen. Und da landet das Geld nun mal schlecht verzinst beim Finanzminister.

Und mit der Beteiligung an den Wertsteigerungen der Kapitalanlagen ist es auch heute nicht so viel besser als vor 30 Jahren. Zwar heben wir nun die Beteiligung an den Bewertungsreserven. Es gibt aber keinen Cent zusätzlich. Einzig der Zeitpunkt, wann die Gelder an die Kunden fließen, ist leicht verschoben.

Die Fakten, die der BdV und die Verbraucherzentrale Hamburg damals anführten, um die Rede vom „legalen Betrug“ zu begründen, sind also im Großen und Ganzen auch heute noch aktuell. Deshalb ist es eigentlich ein trauriges Jubiläum.

Aber wir lassen uns dennoch nicht verunsichern. Im Gegenteil: Mit Sicherheit werden BdV und Verbraucherzentrale Hamburg und viele andere Verbraucherschützer auch die nächsten 30 Jahre nutzen um auf die Missstände in der Versicherungswirtschaft aufmerksam zu machen. Egal ob wir den „legalen Betrug“ anprangern, mit Ampelchecks erste Orientierung gegeben wollen oder neue Wege beschreiten, um die Verbraucher zu informieren.

PS: In Sachen Kosten hat sich in den letzten 30 Jahren schon etwas getan. Die einkalkulierten Kosten sind spürbar gesunken. Aber eben leider noch nicht genug. Die Kostensenkung zeigt zumindest eine gewisse Lernfähigkeit der Branche. Das lässt hoffen.

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Axel Kleinlein (Jahrgang 1969) gilt aktuell als einer der schärfsten Kritiker der Versicherer. Kleinlein ist Diplom-Mathematiker und arbeitete im Aktuariat der Allianz Lebensversicherung. Ab 2000 betreute er bei der Stiftung Warentest den Bereich Lebensversicherung und Altersvorsorge. Weitere Stationen führten Kleinlein zur Rating-Agentur Assekurata wo er mehrere Branchenuntersuchungen zu Lebensversicherungen leitete und für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich war. Danach gründete Kleinlein das versicherungsmathematische und fachjournalistische Büro Math Concepts und ist aktuell wieder Vorsitzender des Vorstandes des Bundes der Versicherten.

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