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Prüfers KolumneDie gemütliche Revolution junger Menschen in China

Während Hustler hetzen, schlürft man hier Nudelsuppe im Liegen. Ein Protest, der weniger Lärm macht – und mehr Sinn. Die Frage: Wofür schuften, wenn man auch schlafen kann?Tillmann Prüfer 06.12.2025 - 10:00 Uhr Artikel anhören
Der Autor ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“. Foto: Handelsblatt

In China fürchtet man den Aufstand der „Rattenmenschen“. Diese sind nicht zu verwechseln mit den Reptilienmenschen, vor denen sich manche Menschen ängstigen. Rattenmenschen sind keine Aliens, die unter der Erde hausen, sondern sie inszenieren sich auf Tiktok. Es sind junge Leute, die eigentlich gar nichts machen, außer im Bett zu liegen, zu lesen, ein wenig auf dem Tablet zu scrollen, eine Nudelsuppe zu schlürfen – um dann frühzeitig wieder zu schlafen.

Im Bett lag man ja ohnehin schon die ganze Zeit. In China gibt es ein ziemliches Problem mit Jugendarbeitslosigkeit. Und die Rattenmenschen scheinen die Leute zu sein, die daraus den ehrlichsten Schluss gezogen haben, nämlich sich in ihre Löcher zurückzuziehen und einem minimalistischen Lifestyle zu frönen. Ratten gelten in China nicht als Schädlinge, sondern als weise, anpassungsfähige Tiere.

Die Rattenmenschen sind die Gegen(nicht)bewegung zu den jungen Hustlern, die einem den ganzen Tag auf Social Media entgegenspringen, uns ihre Alltagsroutinen vorführen, irre produktiv sind und sich davon einen aufwendigen Lebensstil finanzieren. Die weise Ratte hingegen bleibt zu Hause und liest ein Buch.

Schon zuvor gab es in China die Bewegung des „Lying Flat“, also des „Flachliegens“. Das waren junge Menschen, die sich demonstrativ dem Arbeitsstress entzogen. Der Ferne Osten scheint also neuerdings nicht mehr Vorbild darin zu sein, wie man mit Fleiß und Rücksichtslosigkeit zu Wohlstand kommt, sondern eher darin, wie man sich auf die faule Haut legt.

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Im Nachkriegsdeutschland gab es auch einmal eine Jugendbewegung, die sich „Gammler“ nannte. Das waren junge Leute, die einfach eher mal gar nichts machten. Sie zogen den blanken Hass auf sich. Ältere Leute schimpften: „Die hätte man früher ins Lager gesteckt.“ Und genau deswegen waren die Gammler so wertvoll. Sie zeigten der Kriegsgeneration, dass sie sich immerzu im Aufbauwahn versuchte, zu das Weltkriegstrauma zu verdrängen.

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In gewisser Weise stellen die Rattenmenschen also eine Frage, die sich niemand zu stellen traut: Wofür genau machen wir das alles? Falls die Antwort lautet: „Um irgendwann mal zur Ruhe zu kommen“, dann hätten sie nur eine ebenso einfache wie radikale Gegenfrage: „Warum nicht sofort?“ Irgendwann landen wir alle in der Horizontalen, und eigentlich kann man es sich in dieser Lage schon mal vorher bequem machen.

Natürlich bleibt kaum jemand für immer im Bett – spätestens wenn der Akku leer ist. Aber dass eine ganze Generation öffentlich erklärt, dass sie lieber im Bett bleibt, ist eine wirklich sympathische Art von Protest. Man muss sich ja nicht irgendwo auf der Straße festkleben. China zeigt uns mal wieder, wie man es macht. Die Chinesen sind wirklich weit voraus; unsere Jugend kann sich da etwas abschauen.

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