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RESET – die Kolumne zum Wochenende Warum Corona die Demografie verändert – und die Liebe gleich mit

Die andauernden Lockdowns wirken sich auf die Geburtenraten aus, aber wie genau? Thomas Tuma wagt eine bevölkerungspolitisch eher düstere Prognose.
09.04.2021 - 06:00 Uhr 3 Kommentare
Das Coronavirus hat unser Leben verändert – vor allem das Liebesleben. Doch Liebe überbrückt bekanntlich so manche Hürde. Quelle: Unsplash (M)
Liebe

Das Coronavirus hat unser Leben verändert – vor allem das Liebesleben. Doch Liebe überbrückt bekanntlich so manche Hürde.

(Foto: Unsplash (M))

Am Abend des 9. November 1965 fiel in großen Teilen Nordamerikas der Strom aus. Für rund 30 Millionen Kanadier und US-Amerikaner gingen damals für zwölf Stunden im wahrsten Sinne des Wortes die Lichter aus. Was macht man da, so als Menschheit? Genau: Exakt neun Monate später erlebte die Region einen Babyboom. Angeblich. Die Anekdote wird zwar bis heute oft kolportiert. Stimmen tut sie trotzdem nicht.

Die Amerikaner hatten damals viel zu viel Angst vor Sowjets, Fidel Castro, Atomkriegen und sogar Außerirdischen, als dass sie jene Nacht für die private Neubestimmung bevölkerungspolitischer Grundsatzfragen genutzt hätten. Die Geburtenzahlen hatten keinerlei Stromausfall-Höhepunkte, was uns zu der Frage führt: Wie wirkt sich wohl Corona auf die Stimmung geschlechtsreifer Mitteleuropäer aus?

Schon im vergangenen Frühjahr tauchten schnell Prophezeiungen auf, die uns einen Babyboom nach dem ersten Lockdown in Aussicht stellten. Ikea-Chef Jesper Brodin kündigte im Mai an, seine Lager mit viel mehr Babyprodukten füllen zu wollen. Ich weiß nicht, welche soziologische oder gynäkologische Laienspielschar da an der Glaskugel saß, aber die Prognosen entsprangen einem fast schon peinlich schlichten Menschenbild, oder?

Es ist ja mitnichten so, dass allerorten ins Bett gehüpft wird, sobald man mal ein paar Wochen lang zu Hause bleiben muss. Nur in Schwellen- und Entwicklungsländern steigen die Geburtenzahlen übrigens. Aber nicht, weil wenigstens dort alle so glücklich miteinander sind, sondern weil sich viele nicht mal mehr die Verhütungsmittel leisten können.

Meiner Beobachtung nach werden die Leute seit März vergangenen Jahres auch bei uns von anderen Faktoren geplagt als ausgerechnet Langeweile oder überbordendem Geschlechtstrieb. Ich nenne nur mal ein paar Stichworte: Kurzarbeit, Jobverlust, Firmenschließungen. Prompt sind in Italien, Spanien, Frankreich und anderen Ländern Europas die Geburtenraten bereits eingebrochen.

Die Welt ist kühler geworden

Ebenso wie in China und den USA. Und auch für Deutschland wüsste ich nicht, was aktuell Begeisterung fürs Kinderkriegen provozieren sollte? Die aphrodisierenden Auftritte von RKI-Chef Lothar Wieler? Armin Laschets Wortneuschöpfung des „Brücken-Lockdowns“? Oder Angela Merkels Charisma, das mich immer mehr an Bernd, das Brot, erinnert?

Wer in den nicht enden wollenden Lockdown-Monaten schon einen Partner oder eine Partnerin hat, der geht ihm oder ihr derart konsequent auf die Nerven, dass sich eher die Scheidungs- als die Geburtenzahlen erhöhen dürften. Ausuferndes Homeoffice und -schooling sind wirklich nicht hilfreich. Und was machen eigentlich all jene, die überhaupt noch auf der Suche nach dem oder der Richtigen sind?

Singles können doch kaum noch jemanden kennenlernen, wenn zu den wichtigsten Regeln menschlichen Miteinanders heute die Einhaltung eines 1,5-Meter-Mindestabstands zählt. Ich will wirklich nichts gegen den medizinischen Sinn von FFP2-Masken einwenden.

Aber unter emotionalen Gesichtspunkten ist die Welt schon deutlich kühler geworden, seit es nichts mehr bringt, jemanden anzulächeln, weil das ja eh niemand mehr sieht. Und die üblichen Balzplätze sind derzeit ohnehin alle dicht: Büro, Kantine, Bar, Shoppingmall, Fitnessstudio, Kino, Festival, Museum, Theater, Freizeitpark, Schwimmbad? Eben.

Dating-Plattformen boomen

Dem Vernehmen nach boomen stattdessen jetzt Dating-Plattformen. Neulich habe ich gelesen, dass die Einstiegsgespräche der Kunden und Kundinnen von Plattformen wie Elitepartner oder Parship seit Corona viel intensiver und tiefer geworden seien. „Es gibt ein Bewusstsein für nachhaltigeres Dating“, sagte die Elitepartner-Studienleiterin Lisa Fischbach. „Nachhaltigeres Dating“ klingt nur leider so kribbelnd, wie eine Youtube-Doku über die historischen Veränderungen des Kohlebergbaus in Ibbenbüren.

Muss man eigentlich heute zum ersten gemeinsamen Spaziergang schon einen negativen Schnelltest mitbringen? Und wie romantisch oder überraschend kann eine Verabredung da noch sein? Das alte Modell „Viele Kontakte und viele Treffen“ sei jedenfalls out, hieß es.

Das hat meiner Ansicht nach zwei traurige Ursachen. Erstens: Jeder unnötige Kontakt gilt einer wachsenden Zahl von Menschen als ein potenzieller Virenherd zu viel. Zweitens: Man kann bei den Dating-Plattformen der Illusion verfallen, viel Zeit, Geld und Nerven mit dem öden Kennengelerne zu sparen. Der Algorithmus weiß doch viel besser, wer zu einem passt für den Rest des Lebens, was uns aber mit einem weiteren Problem konfrontiert: Immer weniger Menschen heiraten in Corona-Zeiten.

Halten Sie mich für altmodisch, aber meine persönliche Empirie liefert klare Ergebnisse: Die meisten wollen nach wie vor erst dann ein Kind, wenn es nicht das Zufallsergebnis einer verunglückten Klubnacht mit zu viel Caipirinha ist. Partnerschaft samt Nest (von mir aus auch mit Ikea-Wickeltisch „Ålpdrøm“) müssen vorher mindestens so akkurat organisiert sein wie ein deutsches Impfzentrum.

Verweilverbote beseitigen auch die letzten Treffmöglichkeiten

Und das gegenseitige Versprechen soll dann hochoffiziell vor Gott oder wenigstens dem 120-köpfigen Familien- und Freundeskreis abgegeben werden. Wie viele Hochzeitsgäste sind in Kreisen mit Inzidenzwerten über 100 aktuell erlaubt? Und wer macht überhaupt das Catering, wenn doch jede Dorfgaststätte seit bald einem halben Jahr dicht hat? Gott läuft in Coronazeiten vielleicht als ein Ein-Personen-Haushalt, aber schon bei den Buddys wird es eng.

Merken Sie was? Wer immer weniger Menschen kennenlernt und immer seltener heiratet, wird ganz sicher nicht die Heimat eines neuen Babybooms werden. Vielleicht sterben wir ja einfach aus, während wir noch immer gegen das Virus kämpfen, eventuell dann gerade gegen Covid-43.

Apropos Nachwuchs: Meine eigene 18-jährige Tochter darf sich wie der Rest ihrer Generation nicht mal mehr mit ihrer Clique im Park treffen, weil dann gleich die berittene Polizei herangaloppiert und auf die Einhaltung von „Verweilverboten“ pocht.

Dating zu Corona-Zeiten ist nicht einfach. Quelle: dpa
Olympiapark in München

Dating zu Corona-Zeiten ist nicht einfach.

(Foto: dpa)

Ich weiß nicht, ob derlei für die postadoleszente Entwicklung förderlich ist. Mal abgesehen davon, dass mein Kind rein altersmäßig mit Impfen erst in der allerallerletzten Gruppe dran sein dürfte, also etwa kurz vor den Haustieren.

Aber man muss auch das Positive sehen, empfehlen mir Leserinnen und Leser bisweilen. Genau: Gesundheitsminister Jens Spahn erwägt zurzeit eine großartige Lockerung. Die bereits Geimpften sollen es schon bald wieder richtig krachen lassen dürfen: Open-Air-Konzerte, per Interrail durch Europa, Zumba-Workouts im Fitnessstudio, Chillen im Lieblingsklub, Besuche in Tattoo- und Nagelstudios, „körpernahe Dienstleistungen“ aller Art. Für die über 70-Jährigen, die ihre Dosis Biontech oder Astra-Zeneca bereits bekommen haben, ist das sicher eine gute Nachricht.
Sie sehen das anders – oder haben Anmerkungen, Fragen, vielleicht ein Thema, um das sich diese Kolumne auch mal kümmern sollte. Diskutieren Sie unten mit unserem Autor oder wenden Sie sich vertrauensvoll direkt an ihn: [email protected]

Mehr: Zehn Lehren aus dem ersten Lockdown-Jahr – damit wir’s beim nächsten Virus besser hinkriegen

  • ttu
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3 Kommentare zu "RESET – die Kolumne zum Wochenende: Warum Corona die Demografie verändert – und die Liebe gleich mit"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Spritzig! Deckt sich mit eigenen Erfahrungen...

  • "Oder Angela Merkels Charisma, das mich immer mehr an Bernd, das Brot, erinnert?"
    Volltreffer!!!!
    Zu den über 70 Jährigen, die jetzt ihre Freiheit - dank Spahn - genießen dürfen (oder vielleicht auch doch nicht?) sei bemerkt: Es ist doch schönes Bild, wenn eine ganze Gesellschaft in den Lockdown geht, um unsere lieben Älteren zu schützen und dann weiter im Lockdown bleibt und deren freizügiges Verhalten in den Parks und auf den Wiesen zuhause aus dem Fenster beobachten darf....
    Wollen wir das? Nein, da schauen wir doch lieber Bernd - den ganzen Tag!

  • Gut geschrieben - lebensnah, realistisch, viele Lacher! So machen Kolumne Spaß und erreichen den Leser!

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