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RESET – die Kolumne zum Wochenende Warum der Purpose endlich gechallengt werden muss

Das Business-Denglisch hat Ausmaße angenommen, die eine normale Verständigung im Büro kaum noch möglich machen, findet Thomas Tuma – und gibt eine Empfehlung.
05.02.2021 - 06:00 Uhr 3 Kommentare
Wo nahm das Denglisch seinen Anfang? Vermutlich in den stets trendigen Werbeagenturen, vermutet Thomas Tuma.
Reset

Wo nahm das Denglisch seinen Anfang? Vermutlich in den stets trendigen Werbeagenturen, vermutet Thomas Tuma.

Früher machte man Fehler. Heute hat man Learnings. Kein Treffen (Entschuldigung, äh: sorry, „Meeting“, „Get-together“, „Townhall“ oder wenigstens „Kick-off“), das noch ohne Learnings auskommt. „Also ich nehm' da als Learning mit …“, sagt die Kollegin aus dem Sales, der ganz früher mal Verkauf hieß. Sie hat es nicht gerissen bekommen, dafür aber nun Learnings, was einen natürlich mehr freut.

Es hat ja etwas Positives, wenn Menschen etwas lernen. Und sei es nur, wie es nicht geht. Überall Learnings. Das ganze Land scheint eine einzige Lehranstalt geworden zu sein, was schon deshalb überraschend ist, als Corona uns derzeit doch auch viele bildungspolitische Defizite der Republik schmerzhaft vor Augen führt. Der versteckte Sinn hinter den Learnings ist: Man hält sich nicht mehr mit den Pleiten auf, sondern schaut – straight ahead – gen Zukunft.

Möglicherweise auch nur, um von der eigenen Unfähigkeit abzulenken? Aber damit stecken wir nun schon ganz tief in jenem Denglisch, das uns mittlerweile umfängt wie ein schlotzig-klebriges Moor. Wer zu viel zappelt, taucht darin nur schneller ab. Ihm oder ihr fehlen wahlweise die Skills oder eben die Learnings.

Dann hat man eben im letzten Change-Workshop nicht aufgepasst und sich noch allenfalls random mit dem Mindset seiner Company committet. Mind hat überhaupt Konjunktur: Es gibt Mindmaps, Mindgaps, Mindfulness, und der Mindset ist auch wichtig. Ebenso wie steter Mindshift, weil sich ja alles jeden Tag ändert. Disrupt yourself! Alles andere ist allenfalls noch nice-to-have.

Gegen Fachsprachen ist natürlich nichts einzuwenden. Sie haben eine wichtige Funktion, denn ihr Vokabular hilft bei der Verständigung von Ärzten, Hundetrainern und Mechatronikern gleichermaßen. Ich weiß nicht, worüber Hundetrainer oder Mechatroniker so sprechen, wenn sie Kollegen treffen.

Ihr Wortschatz dürfte zwar für Laien kompliziert sein, aber für Fachleute eben völlig verständlich. Bei Menschen, die chronische Learnings haben, ist es andersrum, fürchte ich. Sie wollen gar nichts erklären, sondern eher verschleiern, was sie ohnehin nicht zu sagen haben.

Das Phänomen ist nicht neu. Es fällt mir womöglich nur stärker auf, seit ich in Konferenzen nicht mehr abgelenkt bin von der Bahlsen-Keksmischung auf dem Tisch oder dem Mundgeruch des Kollegen. In den Videocalls (!) im Homeoffice (!!) bleibt einem neuerdings gar nichts anderes übrig, als wirklich mal zuzuhören. Und meist kann ich gar nicht so schnell mitschreiben, wie die Floskeln angeschossen kommen.

Wer sind die Mütter und Väter dieser Bewegung?

Mein aktueller Favorit: „Wir müssen ins Doing kommen, weil ich mit dem Catch-up nach dem Kick-off alles andere als fine war.“ Jede mittelständische Schreinerei braucht heute einen Newsroom und einen Innovation Hub, um auch die eigene Brand Safety upscalen zu können. Woher kommt das alles? Wer sind die Mütter und Väter dieser Bewegung?

Es dürfte schon in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts begonnen haben mit der fröhlichen Dummschwätzerei der damals jungen Werber, die sich irgendwie interessant machen wollten. Die haben dann nach und nach alle Abteilungen und Hierarchieebenen infiziert.

Als erstmals ganz oben (also „C-Level“) über Content statt Inhalt geredet wurde, hatte die Verschleierung gewonnen. Denn seither tropft die Verbal-Schlotze kaskadengleich wieder runter bis zum Pförtner, der auch nicht mehr über seine Leistung nachdenken muss, sondern über persönliche OKRs und KPIs.

Sein USP ist längst nicht mehr, nur nett „hallo“ zu sagen. Er muss den Bottleneck der Traffic-Spitzen an seiner Drehtür jeden Tag neu challengen und die Painpoints seiner Customer kennen. Selbst in der Poststelle geht es heute schon um Employer Branding, damit der Braindrain im Facility-Management im Sinne der Stakeholder gestoppt werden kann. Und natürlich muss die Customer Journey im Sales Funnel regelmäßig gechallengt werden. Deutscht man das so eigentlich korrekt ein? „Er/sie/es hat sich gechallengt gefühlt“? Futur II: „Du wirst overrult worden sein“? Oder „overruled“?

Hier wird gerade an OKRs oder wenigstens dem Mindshift gebrainstormt. Oder  wird der Purpose gechallengt? Quelle: Maskot /Maskot/F1online
Werbeagentur

Hier wird gerade an OKRs oder wenigstens dem Mindshift gebrainstormt. Oder wird der Purpose gechallengt?

(Foto: Maskot /Maskot/F1online)

Über das Phänomen an sich gibt es lustige Bücher wie „Bitte asapst mailden, sonst Bottleneck!“. Oder „Revenue-technisch hat unser CEO zurzeit zero Visibility“. Man kann sich ja auch wunderbar beömmeln. Aber es verliert ein bisschen seinen Charme, fürchte ich, wenn man diese Sprachspielereien anfängt zu hinterfragen.

Dabei geht es mir nicht um Sprach-Nationalismus. Es geht auch nicht darum, irgendetwas Neues doof zu finden, weil es neu ist. Es geht darum, dass dieses Neue als Geschäftssprache 2.0 Bildung suggerieren soll, Internationalität und die Zugehörigkeit zu einer Leistungs-Sonderklasse. Es steht also letztlich für eine vielleicht doch sehr elitäre Ausgrenzung von Leuten, die einfach nicht schnell genug bei #clubhouse über die neuesten Apple-Gadgets oder Leadership-Tools diskutieren.

Einerseits behauptet diese Art sich auszudrücken chronische Offenheit, Transparenz und Toleranz. Aber das sind womöglich nur Hüllen. Der Kern ist soziale Differenzierung. Und auch wenn alle jetzt immer „out of the box“ denken sollen, haben sie sich in ihrer eigenen sprachlichen Dunkelkammer doch längst verlaufen.

Das absolute Königspaar im Reich des Business-Blabla sind meiner Meinung nach „Purpose“ und „Diversity“. Früher hatte man Werte, heute hat man „Purpose“. Es geht dabei um den Sinn und Zweck eines Unternehmens, schon klar. Warum sagt man das dann nicht einfach? Ich habe den Verdacht, dass „Purpose“ eben gar nicht die inhaltlich sicher vielerorts notwendige Debatte beschreibt, sondern nur – Achtung, einer geht noch! – das Buzzword dazu liefert. „Purpose“ kommt mir bisweilen vor wie ein Abziehbild. Wie das Aufklebtattoo für die Fuck-up-Night in der Chill-out-Zone. Purpose kommt mir vor wie die falsche Show zur richtigen Frage.

Mit „Diversity“ verhält es sich ganz ähnlich. Wenn ich es richtig verstehe, ist eben diese Diversity erst erreicht, wenn niemand mehr den Begriff hinterfragt. Eigentlich dann, wenn es sehr ruhig geworden ist in jeder Firma, weil alle sich total einig sind, oder? Was den Purpose angeht und überhaupt.

Und wenn Sie sich jetzt noch fragen, wieso diese Kolumne eigentlich „Reset“ heißt und nicht zum Beispiel „Neustart“ – also ich würde sagen, dass Sie dann auf einem guten Weg sind Richtung Normalität – oder wenigstens zu einem „new normal“, was natürlich auch schon wieder ein No-Brainer ist, aber eben auch ein Learning bietet: Das Geschäfts-Denglisch muss man nicht verbieten, es ab und an zu hinterfragen, kann aber schon helfen.

Sie sehen das anders – oder haben Anmerkungen, Fragen, vielleicht ein Thema, um das sich diese Kolumne auch mal kümmern sollte? Diskutieren Sie unten mit unserem Autor oder wenden Sie sich vertrauensvoll direkt an ihn: [email protected]

Mehr: Whistling Pigs, Pressed Thumbs and the Devil that Eats Flies

  • ttu
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3 Kommentare zu "RESET – die Kolumne zum Wochenende: Warum der Purpose endlich gechallengt werden muss"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Schön geschrieben.
    Anglizismen eignen sich hervorragend um den/die Empfanger die Begriffe selbst mit Bedeutung füllen zu lassen. Herrlich unpräzise!

    Und da wir alle im Homeoffice sitzen, kurze Frage ans Forum: Heisst das Partizip Perfekt nun 'gelockdownt' oder 'downgelockt'?

    Herr Tuma,
    erweitern Sie doch den Scope dieses Essays noch auf den Topic "Abkürzungen". Gerne auch in Kombination mit Business-Denglisch.

    Schönen Freitag noch.

  • Sehr schöner Artikel.
    Schlimmer als dieses Denglisch ist eigentlich nur noch die deutsche Dauerfloskel "schlussendlich"...

  • Der Artikel spricht mir aus der Seele. Morgens sprache mich meine Chefin an und sagte: "Denk dran, seit heute sind wir gemerged...". Selbstverständlich habe wurde geinvoiced, geSATed, geFATed

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