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RESET – die Kolumne zum Wochenende Warum die Selbstständigen im Land so wenig Unterstützung erfahren

In der Coronakrise ist viel von Solidarität die Rede. Eine besondere Minderheit hat davon bislang nicht viel. Von ihr werden eigentlich nur immer neue Opfer gefordert, bilanziert Thomas Tuma.
05.03.2021 - 07:42 Uhr 1 Kommentar
Vielen Selbstständigen droht in der Coronakrise die Insolvenz. Quelle: dpa
Gastronomie

Vielen Selbstständigen droht in der Coronakrise die Insolvenz.

(Foto: dpa)

Wir sollten mal über eine Minderheit sprechen, wenn auch nicht irgendeine. Rund vier Millionen Selbstständige gibt es in der Bundesrepublik. Eine echte Minderheit, wenn man es mit anderen Bevölkerungsgruppen vergleicht.

Zum Beispiel mit den über 21 Millionen Rentnern im Land, die sich zumindest finanziell auch in Corona-Zeiten keine großen Sorgen machen müssen. Ebenso wenig übrigens wie die rund fünf Millionen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, wo es zuletzt und mitten in der Krise eine 4,5-prozentige Lohnerhöhung gab.

Warum aber finden ausgerechnet die Selbstständigen, die ja nun wirklich die größten finanziellen Risiken zu schultern haben, so wenig Rückhalt in einer Bevölkerung, die sonst für jeden vom Aussterben bedrohten Sumpfschlappen-Zilpzalp Unterschriftenlisten und Spendenaktionen organisiert? Sind sie als Wählergruppe einfach zu klein für die Bundespolitik? Zu unwichtig?

Mein Verdacht: Bis hinein unter die Stuckdecken großbürgerlicher Villen an Hamburgs malerischer Außenalster ist es schick geworden, „die Wirtschaft“ irgendwie äh-bäh zu finden, woran „die Wirtschaft“ leider nicht ganz unschuldig ist: Affären, Krisen und Kriminelle gab’s ja nun wirklich genug in den vergangenen Jahren. Vom Platzen der Dotcom-Blase bis zum Beinahezusammenbruch der Finanzmärkte 2008. Von Klaus Zumwinkel über Thomas Middelhoff bis Jan Marsalek. Von Dieselaffäre bis Wirecard-Pleite. Da kann man schon mal misstrauisch werden, oder?

Was ihr Image angeht, hat sich für „die Wirtschaft“ aber irgendetwas verselbständigt. Der Kurz-Schluss scheint mir zu sein, dass „die Wirtschaft“ wie eine böse Macht aus einer anderen Galaxie wahrgenommen wird. Eine dunkle Bedrohung.

„Die Wirtschaft“ – das sind im Zweifel sinistre Aliens in Nadelstreifenanzügen, die im Maybach oder Lamborghini vorfahren, um Omas kleinen Lebensmittelladen wegzugentrifizieren oder ihr mit windigen Kapitalanlagen die Rente abspenstig zu machen. So viel Kapitalismuskitsch und Verschwörungswahn darf da schon sein. Sofern „die Wirtschaft“ überhaupt ein Gesicht hat und nicht gleich als eine Art abstrakte Naturkatastrophe dargestellt wird.

Interessanterweise hat es „die Wirtschaft“ dort besonders schwer, wo man ihr am meisten verdankt: hier in Deutschland. Die Autoindustrie? Hahaha, kriegt doch nix mehr gebacken gegen Tesla, heißt es. Die Banken? War Joe Ackermann nicht der mit dem Victory-Zeichen im Gerichtssaal? Die Digitalszene? Come on, keine Chance gegen das Silicon Valley.

Dynamisch, lieben Eigenverantwortung, gehen gern ins Risiko

Woher der Neid auch immer kommt oder die Schadenfreude oder die Empörung, weiß ich trotzdem nicht. Denn die Selbstständigen sind es ja, die das Land voranbringen: Sie sind dynamisch, lieben Eigenverantwortung, gehen gern ins Risiko … Alles Tugenden, die nicht sonderlich en vogue sind in Zeiten, da Selbstisolation plötzlich als Bürgerpflicht gilt.

„Die Wirtschaft“ – das wird dann gern ignoriert – ist eben auch die Reiseführerin, die jetzt keine Aufträge hat. Der Taxiunternehmer, der bald Insolvenz anmelden muss ebenso wie die Café-Betreiberin, der Musikmanager und das Hotelier-Ehepaar, die auch im März noch auf ihre Novemberhilfen warten. „Die Wirtschaft“ ist sogar der alt-marxistische Fahrrad-Rikscha-Fahrer, dem in Berlin-Kreuzberg die Touris wegbleiben, mit denen er sein 34. Semester Sozialpsychologie finanzieren wollte.

„Die Wirtschaft“ – das sind wir eigentlich alle. Sie ist so etwas wie unser Spiegelbild. So altruistisch wie wir. So egoistisch wie wir. So ambivalent, zwiespältig, zerrissen. wie wir alle nun mal sind. Es sind jedenfalls eher weniger die Beamten, Rentner oder Kinder, sondern die Minderheit jener vier Millionen Selbstständigen (und deren Angestellten), die letztlich über ihre Steuern nun aufkommen sollen für das, was von der übrigens ebenfalls gut versorgten Politik gerade an Maßnahmen beschlossen wird im Namen des Volkes.

Apropos: In den vergangenen Monaten war sehr viel von „Solidarität“ die Rede. Solidarität mit den Risikogruppen. Mit dem Pflegepersonal. Mit den gesundheitlich oder wenigstens finanziell Schwachen. Das ist alles wichtig, keine Frage. Das hat alles einen Sinn. Aber vielleicht sollten wir da auch mal der nicht sonderlich lautstarken Minderheit der Selbstständigen zuhören, die einfach nicht so viel Erfahrung darin hat, sich öffentlich in Szene zu setzen.

Sie arbeiten halt meistens, bauen Läden auf und Lieferketten, haben Ideen, melden ein Gewerbe an, kämpfen mit dem deutschen Steuerrecht und schlafen nicht immer gut. Selbst in die üblichen Talkshows trauen sie sich nur selten, weil Wirtschaftsvertretern dort bisweilen allenfalls die Rolle der „hässlichen Fratzen des Großkapitals“ bleibt (siehe oben).

„Die Wirtschaft neu denken“ heißt es gern. Für ein bisschen Realität rund um diesen ausgelutschten Begriff wäre jetzt wirklich mal Zeit. Sonst fürchte ich, wird es irgendwann einfach niemanden mehr geben, der die Rechnung zahlt. Die Rechnung für die große Mehrheit im Land.

Mehr: Warum ich neuerdings sogar Sahra Wagenknecht verstehe
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