Essay: Haushaltskrise: Noch Staatstheater oder doch schon Staatsversagen?


Die Ampel-Regierung streitet um Schlussfolgerungen aus dem Haushaltsurteil.
Das Ausland dürfte in diesen Tagen verwundert auf das Polit-Theater in Berlin blicken. Einerseits mit Bangen, schließlich liegt politische und ökonomische Stabilität der größten Volkswirtschaft im Interesse Europas. Vielleicht aber schwingt auch ein bisschen Schadenfreude mit. Wer hätte vergessen, wie Deutschland in den Jahren der Euro-Krise mit erhobenem Zeigefinger in den Hauptstädten auftrat, sich im Glauben eigener Solidität und Stabilität als Zuchtmeister aufführte.
Nun, die Ereignisse dieser Tage offenbaren ein politisches Versagen, wie es kaum jemand für möglich gehalten hätte. Der Haushalt 2023 ist verfassungswidrig. Der Etat 2024 kann vorerst nicht verabschiedet werden. Dreistellige Milliardenbeträge stehen zur Disposition.
Die Ampelkoalition ist der Bilanzfälschung überführt, das Führungspersonal der Koalition blamiert und ratlos. Bundesfinanzminister Christian Lindner, der den Haushalt zu verantworten hat, steht als Verfassungsbrecher da. Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck, der den ökologischen Umbau vor allem über Kredite finanzieren wollte und immer noch will, weil der deutsche Industriestandort andernfalls dem Untergang geweiht ist, steht vor einem politstrategischen Scherbenhaufen.
Und dann ist da der Kanzler selbst, der Hauptverantwortliche. Ausgerechnet Olaf Scholz, jener Politiker, der für sich in Anspruch nimmt, Profi der Administration zu sein, und der seine Kritiker nicht selten als kleingeistige Nörgler abstempelt. Jener Scholz, der zwar kein großer Rhetoriker ist, kein Charisma besitzt, von dem es aber hieß, er liefere zumindest seriöses Regierungshandwerk ab.
Das ist Geschichte. Scholz ließ nach dem Karlsruhe-Schock erst tagelang nichts von sich hören. Dann versuchte er den Eindruck zu vermitteln, das Verfassungsproblem ließe sich mit ein paar weiteren politischen Winkelzügen aus der Welt schaffen. Schließlich folgte eine Videobotschaft am Freitag, die keinerlei Klarheit schuf.
Bleibt abzuwarten, ob Scholz bei seiner Regierungserklärung am Dienstag seine Dauerattitüde, er und die Seinen hätten alles unter Kontrolle, ablegt. Ob er vor den Bürgerinnen und Bürgern nach diesen denkbaren Ereignissen etwas Demut an den Tag legt. Eigentlich müsste das Verfassungsgerichtsurteil wie ein Meteorit in das selbstbewusste Gemüt des Kanzlers eingeschlagen sein.
Die Dauerrettungspolitik der vergangenen Jahre stößt endgültig an Grenzen
Tatsächlich geht es ums Ganze. Der Haushalt ist die Geschäftsgrundlage der Regierung, gewissermaßen materialisierte Politik. Der Haushalt oder präziser die Haushaltskrise ist Symptom für viel tiefer liegende Probleme der Bundesrepublik. Sie ist erstens Symptom für die Tatsache, dass die Dauerrettungspolitik der vergangenen Jahre an ihre Grenzen stößt – nicht zuletzt auch weil Geld mit den kräftig gestiegenen langfristigen Kapitalmarktzinsen wieder einen Preis hat.
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Zweitens ist die Haushaltskrise Symptom dafür, dass die Wirtschaftskraft empfindlich nachlässt – und damit auch die Gestaltungsspielräume der Regierenden. Das Geschäftsmodell Deutschland, das mehr als 30 Jahre vor allem darauf basierte, dass hiesige Unternehmen passgenau jene Investitionsgüter, Maschinen und Fahrzeuge lieferten, die insbesondere Schwellenländer wie China in nie gekannter Dimension nachfragten, ist herausgefordert wie seit Jahrzehnten nicht.
Und drittens ist diese Haushaltskrise auch Symptom für eine gut 20 Jahre andauernde Reformunfähigkeit und eben nicht die Illusion, dass der ökologische Umbau der Wirtschaft ein Wirtschaftswunder einläutet, wie der Kanzler prophezeit, sondern in erster Linie erst mal Kosten verursacht, die eine völlig neue Dimension erreichen.
Handelte die Regierung fahrlässig oder sah sie das Risiko nicht? Man weiß nicht, was schlimmer ist.
Die Bundesregierung hat offenbar bewusst das Risiko in Kauf genommen, dass das Bundesverfassungsgericht ihren Haushalt für nichtig erklärt. Auch das hat eine neue Qualität – und ist sicherlich neben den handwerklichen Fehlern, die sich die Ampelkoalition etwa beim Heizungsgesetz leistete, der Gipfel des Politikversagens, das an Staatsversagen grenzt.
Wie konnte es so weit kommen? Letztlich ist es das Ergebnis einer Politik des geringsten Widerstands. Das heißt, jeder Konflikt wurde mit finanziellen Zugeständnissen an die jeweilige andere Seite aus dem Weg geräumt, im Zweifel eben nicht im Sinne langfristiger Investitionen, sondern kurzfristiger konsumtiver Ausgaben. Denn das beschwichtigt die eigene Klientel und zahlt sich schnell in Wählerstimmen aus.
Die SPD bekam ihre Sozialprojekte, die Grünen ihre Klimaprojekte und die FDP den Verzicht auf Steuererhöhungen sowie die vermeintliche Einhaltung der Schuldenbremse. Das konnte nicht funktionieren, also mussten die Buchhaltungstricks her.
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Dass es unzulässig sein könnte, sich wegen einer akuten Notlage die Erlaubnis für neue Schulden zu sichern, die Kredite dann aber erst in den Folgejahren aufzunehmen, es überstieg offenbar die Vorstellungskraft der politisch Verantwortlichen. Dass die Umwidmung von 60 Milliarden Euro für die Bewältigung der Pandemie in den Klima- und Transformationsfonds, um die Schuldenbremse zu umgehen, rechtswidrig ist, kam Scholz und Co. nicht in den Sinn. Oder sie handelten fahrlässig, was die Sache nicht besser macht.
Es gibt sie durchaus, die berechtigte Kritik an der Schuldenbremse
Der Vertrauensverlust jedenfalls ist immens – und die Profiteure sind schon jetzt absehbar: Es sind die politischen Ränder des Landes, die AfD, die Linke – und demnächst die Wagenknecht-Partei. Das Ganze ist umso tragischer, als dass es durchaus berechtigte Kritik an der Schuldenbremse gibt. Es gibt zahlreiche ernst zu nehmende Ökonomen, die die Selbstbeschränkung des Staats vor allem bei langfristigen Investitionen für irrsinnig halten.
Auch das Argument übrigens, dass der Staat langfristige Investitionen in den Kapitalstock des Landes aus laufenden Steuereinnahmen finanzieren soll, ist ähnlich absurd wie der Gedanke, BASF solle den Bau eines neuen Werks aus dem Cashflow finanzieren. Die deutsche Staatsverschuldungsquote beträgt gute 60 Prozent – das ist im internationalen Vergleich ein guter Wert, selbst wenn man die Sonderhaushalte oder das Sondervermögen für die Bundeswehr, die nichts anderes als Schulden sind, hinzurechnet.
Verfassungsbruch ist Verfassungsbruch
Doch es hilft nichts: Geltendes Recht ist geltendes Recht, Verfassungsbruch ist Verfassungsbruch. Eine kurzfristige Reform, oder gar Abschaffung der Schuldenbremse ist kaum realistisch. Die Regierung muss also Konsequenzen ziehen. In seiner Not erklärte der Finanzminister 2023 erst mal zum Notjahr, um die Schuldengrenze anders als versprochen ein weiteres Mal auszusetzen – wohlgemerkt Ende November rückwirkend. Für 2024 wird das nicht mehr funktionieren, das haben die Verfassungsrichter klargemacht.
Also muss es nun eine ausgewogene Mischung aus Einsparungen vor allen bei den konsumtiven Ausgaben geben, eine Streichung von Subventionen, vor allem jene, die fossile Energieträger fördern. Denn vergessen wird gerne das spektakuläre Klimaurteil der Karlsruher Richter, das die Regierung auf Einhaltung der Klimaziele verpflichtet. Empfehlenswert wäre ohnehin eine Stärkung des ordnungspolitisch saubersten Instruments: des Emissionshandels, wie die Wirtschaftsweise Veronika Grimm es empfiehlt. Das heißt eine spürbare Anhebung des CO2-Preises in Verbindung mit einem Klimageld für Härtefälle in der Gesellschaft.

Der Finanzminister Christian Lindner erklärte 2023 rückwirkend zum Notjahr.
Größere Steuererhöhungen sind bei der derzeitigen Lage nicht ratsam. Deutschland ist 2023 Wachstum-Schlusslicht in der EU und den G7. Das Wachstumspotenzial liegt perspektivisch bei knapp einem halben Prozent, wie der Sachverständigenrat kürzlich feststellte. Und niemand bezweifelt, dass die bequemen Jahrzehnte, in denen die USA sich um unsere Landesverteidigung kümmerten, Russland unsere Wirtschaft mit billiger Energie versorgte und China mit seiner atemberaubenden Wachstumsdynamik unseren Wohlstand sicherte, unwiederbringlich vorbei sind. Die Zeichen stehen auf Krise, auf Beschränkung unserer Ansprüche.
Der Kanzler sprach im Zusammenhang mit dem ökologischem Umbau von einem „Wirtschaftswunder“. Nichts allerdings liegt ferner als das. Selbst die Hoffnung, wir könnten diesen Prozess wachstumsneutral gestalten, ist eine Illusion. Spätestens das Karlsruher Urteil zur Schuldenbremse hat das unmissverständlich klargemacht.





Am Ende gilt: Nicht das Festhalten an der Schuldenbremse gefährdet die Demokratie, wie neuerdings auch Vertreter der Union glauben machen wollen. Es ist der laxe Umgang der Regierenden mit der Verfassung, der das Vertrauen in die Demokratie zerstört.
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