Europa: Der Lieferketten-Wahnsinn macht Europa zum Gespött – mit teuren Folgen


Der Blick auf Brüssel ist gerade aus deutscher Perspektive nicht selten von einer gewissen Arroganz geprägt. Überholte Stereotype dominieren die Debatte – ob es der Opa ist, der nach Europa geschickt wird, oder der erlaubte zulässige Biegungsgrad der Banane, der die Gemüter erheitert.
Die Klischees sind billig, teils Jahrzehnte alt, funktionieren aber immer noch prächtig – nicht nur an Stammtischen. Das wirkt in Zeiten geopolitischen Aufruhrs, in denen die Funktionsfähigkeit und vor allem auch die Geschlossenheit der Europäischen Union in vielen Themen zur Überlebensfrage geworden ist, deplatziert. Ohne die Unterstützung des großen Bruders jenseits des Atlantiks, der sich mit dem Amtsantritt Donald Trumps manchmal näher an Moskau als Brüssel positioniert, wirkt Europa dann doch ziemlich klein und hilflos. Noch provinzieller und überforderter allerdings sehen in diesem Umfeld ein auf sich allein gestelltes Berlin, Rom oder Paris aus.
In einer Sache allerdings ist die kritische Haltung deutscher Politiker gegenüber Brüssel nicht nur berechtigt, sondern sogar zwingend notwendig: Die Lieferketten-Richtlinie gehört mindestens geschwächt, wenn nicht gleich komplett abgeräumt. Das fordert der Kanzler – und er hat recht.
Denn nichts kann sich Europa derzeit weniger erlauben, als mit erhobenem Zeigefinger über den Globus zu wandeln, anderen Nationen vorzuschreiben, wie sie ihre Wirtschaft zu organisieren, wie sie Handel zu betreiben und welche Standards sie dabei zu beachten haben.
Selbstverständlich haben die EU-Behörden nicht vor, direkt auf die betroffenen Länder beziehungsweise auf die dortigen Unternehmen Einfluss zu nehmen. Der Plan sieht vielmehr vor, dies über bürokratische, teils absurde Hürden für europäische Unternehmen zur Kontrolle ihrer verästelten Lieferketten zu realisieren. Was die Sache allerdings nicht besser macht. Denn das schwächt obendrein die Firmen, was der Kontinent sich in der zunehmend fragilen Lage ebenfalls nicht leisten kann.
Das Klagen über das „German Vote“ ist einmal mehr berechtigt
Trotzdem scheint sich Kanzler Friedrich Merz (CDU) in seinem in der Sache berechtigten Kampf gegen diese Lieferkettenrichtlinie auf ziemlich verlorenem Posten zu befinden. Erstens scheint eine komplette Abschaffung der Richtlinie in Europa trotz Unterstützung der Kanzlerposition durch Frankreichs Staatspräsidenten Emmanuel Macron nicht mehrheitsfähig.
Zweitens ist sich seine eigene Koalition nicht einig. Jedenfalls schlägt SPD-Chef und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) in Brüssel völlig andere, viel richtlinienfreundlichere Töne an als der Kanzler. Das ständige Klagen über das „German Vote“, also die deutsche Enthaltung in Brüssel aufgrund innenpolitischer Uneinigkeit, findet einmal mehr seine Berechtigung.
Und es ist alles andere als trivial, für eine Position in Europa zu kämpfen, die noch nicht einmal in den eigenen Reihen konsensfähig ist. So ringen sowohl Berlin als auch Brüssel um neue, abgeschwächte Entwürfe der Richtlinie. In erster Linie geht es um die Zahl der Beschäftigten, ab der die EU-Richtlinie greifen soll, ob also Unternehmen mit 1000, 3000 oder 5000 Angestellten die noch im Detail zu bestimmenden Überprüfungen ihrer Lieferanten durchführen müssen.

Das alles mutet in der jetzigen Lage jedenfalls mindestens abenteuerlich, wenn nicht in höchstem Maße selbstschädigend an. Selbstverständlich ist der Kampf gegen Zwangs- oder Kinderarbeit und für gehobene Umweltstandards legitim, sogar notwendig. Die entscheidende Frage aber ist, wie diesen Zielen möglichst effizient und nachhaltig gedient ist – mit bis ins Detail vorgeschriebenen, kaum realisierbaren, mindestens aber praxisfernen Vorschriften oder mit einem gewissen Vertrauen in marktwirtschaftliche Kräfte.
Fest steht doch, dass es auch aus Gründen eines drohenden Reputationsverlustes kaum im Interesse eines Unternehmens dieser Größenordnung liegen kann, mit Firmen zusammenzuarbeiten, die Kinder arbeiten lassen. Unabhängig von ethischen Standards, die man sich nicht nur bei europäischen Unternehmen wünschen sollte.
Niemand wartet auf Europa
Und was die politische beziehungsweise geopolitische Dimension der Lieferkettenrichtlinien-Debatte angeht: Niemand wartet in Zeiten des wachsenden Protektionismus, des zunehmenden Nationalismus und des grassierenden Imperialismus auf Europa.
Will die Europäische Union in ihrem ebenso berechtigten wie notwendigen Kampf um faire multilaterale Regeln und den Erhalt eines letzten Rests der regelbasierten Weltordnung Verbündete gewinnen, dann wird das mit Lieferkettengesetzen kaum gelingen – so gut gemeint sie auch sein mögen. Solche Projekte werden in vielen Teilen der Welt – und insbesondere dem neuerdings stark umworbenen globalen Süden – zu Recht als belehrend empfunden.






Soll es der Europäischen Union gelingen, notfalls einen handelspolitischen Bypass um die USA zu legen, jene einstige Führungsnation der freien Welt, die sich unter Präsident Donald Trump einer selbstschädigenden America-first-Politik verschrieben hat, braucht der alte Kontinent neue Verbündete – und nicht belehrende Politikrezepte, die im heutigen geopolitischen Umfeld wie aus der Zeit gefallen wirken.





