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KommentarAfD-Umfragehoch: Das Schweigen der Wirtschaft

Wenn es um den Höhenflug der AfD geht, geben sich die Wirtschaftsführer wortkarg. Dabei gibt es sehr gute Gründe, sich in die gesellschaftspolitische Debatte einzumischen.Thomas Sigmund 07.06.2023 - 18:40 Uhr
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Während Unternehmer sich nicht vor Kritik an der Bundesregierung scheuen, halten sie sich bei der AfD zurück.

Foto: dpa

Wenn es um die Energiepolitik von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geht, ist ihm der Gegenwind vieler Manager, Mittelständler und Handwerker sicher: Der Grünen-Politiker habe keine Strategie. Sie werfen ihm Dirigismus und Mikromanagement vor. Die Wirtschaftselite schlägt in aller Öffentlichkeit harte Töne an – mit teils klugen Argumenten.

Auffällige Stille herrscht dagegen bei einem anderen nicht weniger politisch aufgeheizten Thema, dem Höhenflug der AfD. Da geben sich die Wirtschaftsführer wortkarg. Man könnte sogar sagen, mit wenigen Ausnahmen wie etwa dem Vorstandschef des Essener Chemiekonzerns Evonik ist nur Schweigen zu vernehmen. 

Dabei grenzt keine andere Partei andersdenkende Menschen so aus, diffamiert und diskriminiert sie. Längst ist ein gesellschaftlicher Diskurs im vollen Gang, der sich auch in die vielfältig aufgestellten Betriebe mit ihren Millionen von Beschäftigten hineinfrisst. 

Dabei geht es nicht darum, für die eine oder andere Partei Wahlkampf zu betreiben. Parteipolitik gehört nicht in die Unternehmen. Dass die Politik der Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP bei den Bürgern schlecht ankommt und die CDU von Friedrich Merz die daraus resultierende Wut nicht kanalisieren kann, ist das eine.

Merz war zwar einmal mit dem Ziel angetreten, die AfD zu halbieren. Jetzt geht er aber lieber den klassischen Weg und arbeitet sich an Kanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Robert Habeck ab. 

>> Lesen Sie hier: Scholz sieht AfD-Höhenflug mit Sorge

Die Wirtschaft muss und kann ihm da nicht folgen. Einigkeit kann aber schnell über die grundsätzlichen Unterschiede zwischen der AfD und den anderen Parteien mit Ausnahme der Linken erzielt werden. Das sind die teilweise staatsfeindlichen Einstellungen der rechten Partei und die fehlende Weltoffenheit. Auf Letzterer beruht das Geschäftsmodell Deutschlands, das mitten in der Rezession steckt und alles, aber nur keinen kleinteiligen Nationalismus braucht. Eine solche Politik kostet uns Wohlstand.

Die Ampelkoalition verliert nicht nur in der Bevölkerung an Rückhalt, sondern auch in der Wirtschaft.

Foto: IMAGO/Political-Moments

Warum scheuen die Unternehmenslenker, die Chefinnen und Chefs in den kleinen und mittleren Betrieben den politischen Diskurs darüber? Warum setzt sich kein CEO in eine Talkshow und prägt die Meinung im Land im Umgang mit der AfD mit?  Vielleicht sieht der eine oder andere auch die Gefahr für die Demokratie und die wirtschaftliche Zukunft des Landes nicht. 

Es geht um Toleranz und Liberalität. Werte, ohne die eine Exportnation wie Deutschland nicht denkbar wäre. Wenn die Wirtschaft sich aus diesen Debatten nicht komplett verabschieden will, muss sie hier Position beziehen.

Drei gute Gründe sprechen dafür:

Erstens: Die Chefs haben alle Möglichkeiten, sich eine fundierte Meinung zu bilden. Die international tätigen CEOs ohnehin. Deren Stabsabteilungen schreiben ihnen in kürzester Zeit auf, welche fatalen Auswirkungen das Erstarken einer in Teilen rechtsextremistischen Partei in Deutschland hat.

Innovation entsteht durch Diversität und Vielfalt. Qualifizierte Zuwanderer wollen nicht in einem Land leben, in dem sie nicht erwünscht sind. Da braucht es dann auch keine Reisen der Außenministerin und des Arbeitsministers nach Brasilien, um für Fachkräfte zu werben. Das erzählen ihnen auch alle ausländischen Mitarbeiter, die schon hier sind.

Zweitens sollte wahrscheinlich nicht der jüngste Vorstandschef oder die jüngste Vorstandschefin sich an die Spitze der Bewegung setzen. Erst muss der eigene Laden laufen, bevor man den Kopf frei hat, um einen Shitstorm in den sozialen Medien auszuhalten, in denen ohnehin keine seriöse Debatte mehr möglich ist.

Und nicht jedes Unternehmen wie Adidas leistet es sich, Millionen von Turnschuhen abzuschreiben, weil der Rapper Kanye West Hassbotschaften verbreitet. Doch Mitarbeiter und Kunden wollen wissen, wofür das Unternehmen steht. Vor allem die Konzerne investieren gewaltige Summen, um mit ihrem „Purpose“ auf dem Markt zu werben und Mitarbeiter an sich zu binden.

>> Lesen Sie auch: Unternehmer sind so unzufrieden mit der Ampel wie selten

Da kann man sich nicht durchlavieren, sondern muss zu seinen Werten stehen. Die Konzernchefs stehen für eine Vielzahl von Stakeholdern, etwa die Arbeitnehmer oder Lieferanten. Wer für diese Gruppen in der Firma mit all ihren Unterschieden sprechen kann, sollte sich vor der Öffentlichkeit nicht scheuen.

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Drittens: Von den Spitzenverbänden der Wirtschaft ist nichts zu hören. Weder vom Industriepräsidenten noch vom Handwerkspräsidenten. Die Zurückhaltung erstaunt. Es reicht nicht, die AfD-Abgeordneten stillschweigend etwa von den Veranstaltungen der Verbände auszuschließen. Bei solchen Terminen werden gern Reden über Diversität und Weltoffenheit gehalten, aber den Elefanten im Raum spricht niemand an. Es fehlt offensichtlich die Zivilcourage. Der Mut zum Klartext würde jedoch belohnt werden.

Es gibt keine Person mehr, die erkennbar für die deutsche Wirtschaft in der Politik spricht. Früher war das klassisch der Chef der Deutschen Bank oder der CEO von Siemens. Heute halten sich alle raus. Die Berliner Bühne wird von den Wirtschaftsvertretern in gesellschaftspolitischen Debatten nicht mehr bespielt. Da muss man sich nicht wundern, wenn fachliche Themen auch nicht mehr ernst genommen werden. Die Glaubwürdigkeit wächst einem dann zu, wenn es nicht nur um das unmittelbar eigene Geschäft geht. 

MehrÖkonomen warnen vor Folgen des AfD-Umfragehochs.

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