Kommentar: Am Ende könnte die Union regieren – und der Parteichef trotzdem alles verlieren

Armin Laschet hat das Kanzleramt noch nicht aufgegeben.
Armin Laschet will von einem Rücktritt noch nichts hören. Es heißt, der „Volksparteiler“ befürchte, die Partei stürze ins Chaos, wenn er in diesen stürmischen Zeiten die Brücke verlasse. Aber wäre das wirklich so?
Ein Sonderparteitag würde einen neuen Vorsitzenden wählen und mit ihm gänzlich neue Stellvertreter. Neue Köpfe, neue Gedanken bekämen Raum. Die Mitglieder dürften wieder mitreden und diskutieren, so wie für kurze Zeit 2018, als es um die Nachfolge von Angela Merkel ging und die heute noch 388.000 Mitglieder das Gefühl hatten, wichtig zu sein.
Dieser Tage erinnert die Lage der Union frappierend an die Lage der SPD nach der Bundestagswahl 2017: Der wie Laschet aus dem Aachener Raum stammende Kanzlerkandidat Martin Schulz hatte das schlechteste Ergebnis seiner Partei seit 1949 eingefahren. Er zog wie Laschet über die Landesliste in den Bundestag ein, dachte über einen Rücktritt als Parteichef nach, blieb aber.
Die Partei murrte, es brodelte. Statt seiner wurde Andrea Nahles Fraktionschefin. Schulz dachte, gemeinsam könnten sie den Neuanfang der SPD voranbringen. Fünf Monate später hieß die neue SPD-Chefin: Nahles. Die SPD wurde widerwillig Koalitionspartner der Union. Schulz durfte nicht Minister werden.
Bekommt Deutschland seine nächste GroKo?
Heißt der nächste CDU-Chef womöglich Ralph Brinkhaus und wird Vizekanzler einer SPD-geführten Regierung Scholz?
„Alles Humbug“, dachten auch die Sozialdemokraten 2017 zunächst. Der Wahlsieger Union sondierte mit FDP und Grünen. Ein Bündnis von SPD, Grünen und FDP dürfte 2021 aber mindestens so kompliziert sein. Und: Armin Laschet befindet sich wie Schulz damals in einer ähnlich ausweglosen Situation.
In der Bundestagsfraktion konnte Laschet am Dienstag einen kleinen Erfolg feiern: Er hat eine Kampfkandidatur verhindert und damit die von ihm eingeforderte Geschlossenheit zumindest nach außen sichergestellt, um eine Koalition sondieren zu können. Intern aber geht es rund, wird Laschets Kurs „Strohhalmpolitik“ genannt. Wer sogar öffentlich Kritik wagt, erhält als Antwort: „Kameradenschwein.“ Willkommen in der Post-Merkel-Ära.
Die Parteimitglieder haben für die Spielchen wenig übrig und sehnen sich nach Offenheit und Eingeständnissen. Sie vernehmen allenfalls von ihren Abgeordneten, dass Laschet in der Fraktion selbstkritisch und schonungslos das Wahlergebnis bewertet hat. Gern würden sie es auf einer Bühne hören, wissen, dass es auf keinen Fall so weitergeht.
Zur Selbstkritik unfähige Ministerriege
Die Gefahr droht von jener amtierenden Ministerriege, die – trotz Amtsbonus – ihre Direktmandate verloren hat und dennoch in der Fraktion Geschlossenheit einforderte: Annegret Kramp-Karrenbauer, Peter Altmaier und Julia Klöckner. Sie klammern sich an ihre Regierungssessel. Längst aber ist Selbstkritik angezeigt.
Bislang hat nur Agrarministerin Klöckner ihren Rücktritt angekündigt – als Landesvorsitzende in Rheinland-Pfalz. Darüber hinaus aber muss sie erklären, warum nur noch weniger als die Hälfte aller Landwirte die Union wählt. Auch etliche Soldaten haben kein gutes Wort mehr übrig, von Unternehmern ganz zu schweigen. Die Niederlage der Union hat viele Gründe und viele Gesichter. Nur eines davon ist Laschet.
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Dem steckt die Niederlage inzwischen sichtbar tief in den Knochen. Mitgenommen, grau erleben ihn die Mandatsträger dieser Tage, unwirsch begegnet er Journalisten. Kein Wunder: Er muss viele Schläge in Partei und Fraktion einstecken, schlechte Presse, ergänzt um die neuerlichen Sticheleien des Dauerrivalen Söder und den Widerstand des alten und neuen Fraktionschefs Brinkhaus. Dem wird schon nachgesagt, im Hintergrund ebenjene unwahrscheinlichen Gespräche mit der SPD über eine Große Koalition zu führen.
Regieren ja, aber ohne Laschet
Viele in der Union können sich heute noch nicht vorstellen, nicht zu regieren. Auch Söder will: Aber nicht mit Laschet an der Spitze und eigentlich auch nicht mit Grünen und FDP, die ihm zu Hause längst das Leben unerträglich machen. All das regt in der komplizierten Gemengelage die Kreativität an.






Umso rühmlicher scheint es, dass Laschet im laufenden Machtspiel nicht aufgibt und nach einer Koalition strebt: entweder mit der SPD als Juniorpartner, so sich Grüne und FDP nicht einigen, oder doch in einem Jamaika-Bündnis.
Sollte er dieses wider Erwarten anführen, gebührte ihm der größte Respekt: Er hätte in dem Fall nicht nur eine Mehrheit organisiert, sondern auch eine zukunftsträchtige Projektskizze erstellt, mit der die Union ihr Profil schärfen und sich erneuern kann. Denn nur dann werden die Mitglieder den Weg mitgehen.
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