Kommentar Angela Merkel: Der Herbst der Matriarchin

Eine gewisse Mattigkeit scheint die Regierenden befallen zu haben – allen voran die Frau im Kanzleramt.
Berlin Angela Merkel fiel dieser Tage mit einer weißen Verbandsschiene am Mittelfinger der linken Hand auf. Bei einer unglücklichen Bewegung hatte sich die Kanzlerin einen Strecksehnenriss zugezogen. Ärgerlich, aber nicht so schlimm.
Weitaus schmerzhafter dürfte sein, was die Regierungschefin derzeit im politischen Berlin erleben muss. Auf den letzten Metern ihrer Amtszeit entgleitet Merkel die Kontrolle, während ihre Nachfolgekandidaten in einem Erbfolgekrieg die Union zerlegen.
Von Merkels in der TV-Talkshow „Anne Will“ demonstrierten Entschlossenheit zum „Durchregieren“ ist knapp drei Wochen später nicht mehr viel übrig. Zwar hat das Bundeskabinett die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen. Doch ganz so schnell wie erhofft kann die Kanzlerin die „Notbremse“ nicht ziehen.
Die Opposition verweigert sich dem beschleunigten Verfahren, und auch die Unionsfraktion ist nicht gewillt, sich die Regeln der Pandemiebekämpfung einfach von oben diktieren zu lassen. Je näher der Abschied der Kanzlerin kommt, desto stärker bricht sich das Selbstbewusstsein der Fraktion Bahn.
Merkel hätte wissen müssen, wie sensibel das Thema Ausgangssperre ist. Doch verliert die Regierungschefin zunehmend das Gefühl für das politisch Machbare. Sollte die Novelle des Infektionsschutzgesetzes am Ende zerpflückt werden, wäre das nach der gescheiterten „Osterruhe“ der zweite Fehler, den die Kanzlerin auf ihre Kappe nehmen müsste.
Der Nimbus als Krisenkanzlerin schwindet
Sie weiß das, sonst hätte sie nach dem Kabinettsbeschluss nicht höchstselbst noch einmal die Dringlichkeit der Verschärfung vor der Presse erklärt, sondern das ihren zuständigen Ministern überlassen. Und die Ministerpräsidenten, die ihr den ganzen Schlamassel erst eingebrockt haben, können sich entspannt zurücklehnen. Und sogar am Ende mit dem Finger auf den Bund zeigen, wenn Bürger und Wirtschaft über neue Beschränkungen schimpfen.
Mit dem unausgegorenen Entwurf zum Infektionsschutzgesetz werden die Gräben in der Unionsfraktion, die wegen des Gezerres um die Kanzlerkandidatur ohnehin vor der Zerreißprobe steht, weiter vertieft. Und der kleine Koalitionspartner nutzt die Schwäche weidlich aus: „Kurzarbeitergeld, Kinderzuschlag, Kanzlerkandidat – K-Fragen, die wir schon geklärt haben“, twittern genüsslich die Sozialdemokraten.
Wer immer schon geargwöhnt hat, dass in Wahrheit eine SPD-Kanzlerin an der Spitze der Regierung steht, dürfte sich nun erneut bestätigt fühlen. Die SPD hat ihre Testpflicht in Unternehmen bekommen, die Kanzlerin steht noch mit leeren Händen da.
Fast tragisch ist, dass der Herbst der Matriarchin nun so zu Ende geht. Schon vor der Pandemie war die Kanzlerinnendämmerung ausgerufen worden, doch Merkel kämpfte sich und ihre Partei zurück aufs Spielfeld. „Die Frau kann Krise“ – das war das Argument, das die Bürger überzeugte.
Doch ihren in der Finanz-, Euro- und Flüchtlingskrise gestählten Nimbus als Krisenkanzlerin droht Merkel kurz vor der nächsten Bundestagswahl noch zu verspielen. Die Union steht in Umfragen wieder ungefähr da, wo sie vor Ausbruch der Pandemie war – und könnte angesichts der Diadochenkämpfe weiter einbrechen.

Der Kanzlerin bleibt nicht viel anderes übrig, als in dieser Situation vom Spielfeldrand aus zuzuschauen. Sie hat versprochen, sich aus der Kür ihres Nachfolgers herauszuhalten – und dann doch gegen Armin Laschet ausgeteilt. Den CDU-Chef dürfte die Kritik am laschen NRW-Lockdown kaum gefreut haben, auch wenn Merkel später wieder Partei für ihn ergriff.
Und der immer breitbeiniger auftretende Markus Söder, der in der Flüchtlingskrise noch einer der schärfsten Kritiker der Kanzlerin und ihres Kurses war, inszeniert sich inzwischen ungeniert als Sachverwalter des Merkel’schen Regierungsstils und Hort der Verlässlichkeit. Man wüsste gern, wie die Regierungschefin darüber denkt, wenn sie abends die Nachttischlampe ausknipst.
In der Beliebtheitsskala der Politiker im Land rangiert Angela Merkel immer noch ganz vorn – und ihre politischen Verdienste werden bleiben. Sie hat nichts mehr zu verlieren, weil nach der Wahl jemand anders sein Glück im Kanzleramt versuchen wird. Trotzdem dürfte es sie – und mehr noch ihre Partei – ärgern, wie von Tag zu Tag die Wechselstimmung im Land wächst.
Das hat auch damit zu tun, dass sie die Zügel zuletzt nicht mehr in der Hand gehalten hat und politischen Instinkt, der einst ihr Markenzeichen war, vermissen ließ. Eine gewisse Mattigkeit liegt über dem Land, und es scheint, dass sie mehr und mehr auch die Regierenden erfasst. Allen voran die Frau im Kanzleramt.
Mehr: „Es geht um die Frage: Wollen wir gewinnen?“ Die Union ist tief gespalten
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@Frank Specht
Die Aussage Merkel habe gegen Laschet ausgeteilt verstehe ich nicht: Die Regierung hat sich hinter Laschet als Kanzlerkandidat gestellt und gegen den Wählerwunsch Söder.
Falls Sie den Regierungsstil Söders mit Merkels vergleichen möchten, dann ist das, was Sie tun sehr oberflächlich. Söder ist der Pragmatiker, der z.B. kostenlose Tests für Reiserückkehrer ermöglicht und dafür dann massiv kritisiert wurde.
Merkel verhält sich recht ideologisch, kaum gibt es die Fukushima Krise, werden die Atomkraftwerke abgeschaltet, weil die Grünen in den Umfragen zulegen.....
Flüchtlingskrise: Es werden humanitär mehrere Millionen Menschen aufgenommen ohne sich um die Unterbringung und den damit verbundenen Folgen zu kümmern. Eine Hilfe vor Ort mit UNHCR wird nicht angedacht und erst später wird eine Hilfe vor Ort mit Erdogan umgesetzt.
In der Corona Krise versagte die Seilschaft Leyen, Merkel, Spahn komplett bezüglich Masken (teuer, ineffizient, korrupt), Tests (versprochen, kommen spät), Impfungen (sehr, sehr spät), Digitalisierung (immer noch FAX) - das kostet Menschenleben.
Merkel mag zwar Krisenkanzlerin sein, ihre Lösungen waren nie pragmatisch und gut für den Wohlstand in Deutschland und in der EU.