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Kommentar Angela Merkel gibt in der Russlandpolitik jetzt den Willy Brandt

So richtig die Sanktionen nach der Krim-Annexion waren, so nötig ist Merkels Kursschwenk jetzt. Er ist eine Rückbesinnung auf die Ostpolitik des großen SPD-Kanzlers.
24.06.2021 - 21:17 Uhr Kommentieren
Die CDU-Kanzlerin schwenkt am Ende ihrer Kanzlerschaft auf den Kurs des SPD-Granden ein. Quelle: dpa
Angela Merkel wird im Restaurant „Kanzlereck" unter Willy Brandt gehängt

Die CDU-Kanzlerin schwenkt am Ende ihrer Kanzlerschaft auf den Kurs des SPD-Granden ein.

(Foto: dpa)

Dass ausgerechnet Angela Merkel am Ende ihrer Amtszeit eine Kehrtwende in der Russlandpolitik hinlegt, ist bemerkenswert. Schon 2006, ein Jahr nach Beginn ihrer Kanzlerschaft, machte sie auf einem Gipfeltreffen, das damals mit Russland noch „G8“ hieß, ihre Abneigung gegenüber Wladimir Putin deutlich.

Die Frau aus Deutschlands Osten und der frühere KGB-Spion in Dresden fanden mental nicht zueinander. Er konnte sie, wie einige andere Spitzenpolitiker zuvor, nicht umgarnen.

Nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 wurde Russland aus der Gruppe der großen Industriestaaten ausgeschlossen, das Riesenreich mit Sanktionen belegt. Jetzt will Merkel mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Ausgestoßenen doch einladen, zu einem EU-Russland-Gipfel – so wie sich auch US-Präsident Joe Biden mit Putin getroffen hat.

Man kann dies als Einknicken vor Putins Hartleibigkeit, als inkonsequent und falsch geißeln. Oder als Pragmatismus loben. Denn auf Isolation und Sanktionen zu setzen ist ein harter und langer Weg.

Die USA haben es in Jahrzehnten mit solchen politischen und wirtschaftlichen Strafaktionen nicht geschafft, Kuba in die Knie zu zwingen. Wie viel schwieriger ist es da, ein industriell entwickeltes und mit vielen Rohstoffen gesegnetes Land wie Russland in zivilisierte Bahnen zu lenken?

Putin hat sich eine fiskalische Festung aufgebaut

Putin ist es gelungen, etwa 600 Milliarden Dollar Währungsreserven anzuhäufen. Zu signifikanten Kursänderungen wird er sich durch anhaltende Wirtschaftssanktionen nicht zwingen lassen. Bezahlt hat es die russische Bevölkerung mit dem Rückgang der Realeinkommen, mit einem stark unterdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum, hoher Inflation und Rubel-Entwertung.

Streiks, Straßenblockaden, Rentnerdemos, sogar die Massenmärsche der Opposition hat Putin überstanden, wenn auch manchmal nur mit blanker Gewalt oder der Rücknahme dringend benötigter Reformen. Das Land wird wirtschaftlich noch lange darunter leiden.

Politisch hat Putin es aber überlebt, und um die fiskalische Festung des Kremlchefs zu treffen, müsste der Westen mit einem Total-Importstopp von russischem Öl und Gas, Platin und anderen Rohstoffen reagieren. Sanktionspolitik ist also für beide Seiten ein harter und langer Weg.

So richtig die Sanktionen nach der Krim-Annexion waren und einen Einmarsch Russlands in der Ukraine verhindert haben, so richtig ist Merkels Kursschwenk nun nach sieben Jahren. Er ist eine Rückbesinnung auf Willy Brandt und dessen Ostpolitik des Wandels durch Annäherung, die oft sogar als Wandel durch Handel verbrämt wird.

Quelle: Burkhard Mohr

(Foto: Burkhard Mohr)

Richtig ist die Brandt’sche Doppelstrategie: mit den Nachbarn reden, aufeinander zugehen, aber immer klar verankert im westlichen Bündnis stehen – also in Nato und EU. Ostpolitische Alleingänge gegenüber Moskau, eine Politik über die Interessen der osteuropäischen EU-Länder hinweg, wären verheerend.

Es muss also tatsächlich einen EU-Gipfel mit Russland geben, auf dem über Themen in dringendem gemeinsamem Interesse geredet wird, zum Beispiel über Abrüstung und eine Klimastrategie zur beiderseitigen Bereicherung etwa durch grünen Wasserstoff aus Russland. Es muss um einen Neustart der Beziehungen gehen.

Eine parallele EU-Strategie für Russland ist nötig

Parallel muss die EU im Hinblick auf Russland eine Strategie entwickeln, die in Merkels Worten eine gemeinsame EU-Reaktion auf weitere russische Provokationen und hybride Angriffe Russlands beinhaltet. Denn das ist die zweite Seite von Brandts Ostpolitik, die heute so oft einfach weggelassen wird: das klare Bekenntnis zur Einheit der EU und des Westens.

Putins Versuche, die EU zu spalten sowie Europa und die USA zu trennen, müssen klar zurückgewiesen werden.

Gemäß einem alten russischen Sprichwort „muss man an Russland einfach glauben“. Putin hat viel von diesem Glauben zerstört. Und es wäre naiv zu glauben, ein EU-Russland-Gipfel brächte unbedingt Erfolg.

Der Kremlherr setzt zum eigenen Überleben auf die Isolation Russlands, das Abwenden von Europa und ein Bündnis mit China. Aber er will die Schuld dafür dem Westen zuschieben, gefällt sich in der Opferrolle.
Daher sind Gesprächsangebote an Moskau jetzt wichtig, nicht nur durch die EU, sondern auch seitens der G7-Staaten – um auszuloten, ob es doch noch zu einer Wiederannäherung kommen kann. Oder wer im Falle eines Scheiterns die Verantwortung trägt für einen neuen kalten Krieg.

Mehr: Angela Merkels letzter EU-Gipfel – Abschied einer Krisenkanzlerin

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