Kommentar Apples Vorstoß gegen Kinderpornografie ist ein heikler Balanceakt

Apple will mit Bildabgleich gegen Kinderpornografie vorgehen.
„Überwachungskapitalismus“ heißt der Bestseller, in dem die Harvard-Gelehrte Shoshana Zuboff vor Orwell’schen Zuständen warnt, die uns durch die wachsende Datenmacht der amerikanischen Tech-Giganten drohen könnten. Die Nachricht, dass Apple mit einem Software-Update für das iPhone die dort privat gespeicherten Fotos auf kinderpornografische Inhalte durchsuchen kann, scheint diese Dystopie zu bestätigen.
Die Wirklichkeit ist jedoch komplizierter. Apples Vorstoß ist ein heikler Balanceakt zwischen berechtigten Schutzinteressen des Staates, die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft vor Übeltätern zu bewahren. Und dem Schutz der Privatsphäre vor dem technologischen „Big Brother“ unserer digitalisierten Welt.
Auf den ersten Blick klingt das Vorhaben positiv: Noch immer kursieren Fotos aus dem dunklen Milieu der Kinderpornografie im Untergrund des Internets. Der Missbrauchsfall von Münster, der immer noch das dortige Landgericht beschäftigt, zeigt die verstörenden Abgründe dieser Szene. Wer kann also etwas dagegen haben, wenn neue Technologien helfen, den Tätern schneller auf die digitale Spur zu kommen?
Der Druck auf die Tech-Konzerne, die dunkelsten Seiten des Internets besser auszuleuchten, ist seit Jahren gestiegen. Bereits 2016 lieferte sich Apple einen Showdown mit der Bundespolizei FBI, als es darum ging, verschlüsselte Informationen auf dem iPhone eines Amokschützen zugänglich zu machen. Damals weigerte sich übrigens der Konzern aus dem Silicon Valley, die Türen zum Innenleben des iPhones mit einer neuen Software zu öffnen, weil diese von staatlichen Übeltätern missbraucht werden könnte.
Seitdem haben viele Tech-Firmen ihre digitalen Dienste durch eine sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung weiter verbessert, um den Kunden einen noch besseren Schutz der Privatsphäre bieten zu können. Die Inhalte von privaten Nachrichten bleiben sogar den Unternehmen selbst verborgen. Der Schutz privater Daten ist zu einem wichtigen Wettbewerbsparameter im Kampf um die Kunden geworden. Apple ist hier ganz vorn und scheut dabei auch nicht den Konflikt mit großen Konkurrenten wie Facebook.
Insofern kommt es für viele überraschend, dass ausgerechnet der iPhone-Konzern jetzt bestimmte Nutzerdaten durchleuchten und notfalls an staatliche Behörden weiterreichen will. „Diese innovative neue Technologie ermöglicht es Apple, dem National Center for Missing and Exploited Children und den Strafverfolgungsbehörden wertvolle und verwertbare Informationen über die Verbreitung von bekanntem CSAM [child sexual abuse material] zu liefern“, begründet das US-Unternehmen seine Überwachungspläne, die vorerst nur in Amerika umgesetzt werden sollen.
In Europa würde die europäische Datenschutz-Grundverordnung einen solchen Spähangriff auf private Daten verhindern. Allerdings ist auch die EU-Kommission gerade dabei, die Balance zwischen dem Datenschutz und dem Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch im Netz zu verschieben und für E-Mail- und Messenger-Dienste eine Art freiwillige „Chatkontrolle“ einzuführen.
Autoritäre Staaten missbrauchen die Überwachungstechnologien
Die meisten Datenschützer sehen das mit Sorge. Sie befürchten, dass die neuen Technologien eben nicht nur gegen die Machenschaften von Tätern im Zusammenhang mit Kinderpornografie eingesetzt werden, sondern dass damit auch andere persönliche Daten in die Hände der nicht immer gut meinenden Obrigkeit gelangen könnten. Bürgerrechtler sprechen mit Blick auf Apples Pläne gar von einem „Dammbruch“ und warnen davor, eine technologische Hintertür zu öffnen, durch die autoritäre Regierungen politisch missliebige Bürger überwachen könnten. Dass dies keineswegs irrationale Ängste sind, zeigt der massive Einsatz von Überwachungstechnologien zum Beispiel in China.
Beifall für Apples Vorstoß kommt aber auch aus Indien, wo Premierminister Narendra Modi Nachrichtendienste wie WhatsApp gesetzlich dazu zwingen will, bei der Strafverfolgung zu helfen. Apple sei Vorbild auch für andere Technologieunternehmen, heißt es in Neu-Delhi. Aber auch Regierungsvertreter in Großbritannien, den USA und Japan haben davor gewarnt, digitale Räume mithilfe von Verschlüsselungssoftware komplett abzuriegeln und sie so zu gesetzlosen Räumen zu machen.
Die Politik hat immer wieder betont, dass in der virtuellen Welt die gleichen rechtsstaatlichen Prinzipien gelten müssen wie offline. Das bedeutet, der Schutz der Privatsphäre muss dort enden, wo unter seinem Deckmantel schwerwiegende Straftaten verübt werden. Das Dilemma des digitalen Zeitalters ist es jedoch, dass neue Technologien eben nicht nur von Straftätern missbraucht werden, sondern auch von Staaten. Einen Ausweg aus dieser Zwickmühle haben wir bislang nicht gefunden.
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