Kommentar Aufsichtsräte brauchen etwas Markt-Nachhilfe

Die Aufsichtsräte des Stahlkonzerns fordern eine Verdopplung ihrer Vergütung.
Seit geraumer Zeit besteht, dank gesetzgeberischen Drucks, Transparenz über die Vergütungen für den Aufsichtsrat. Daher weiß jeder, den es interessiert, dass die Einkommenslage der Unternehmensüberwacher durchaus unterschiedlich ist. So ist auch bekannt, dass der Chefkontrolleur der Thyssen-Krupp AG zuletzt gut 200.000 Euro Jahresapanage bekommen hat.
Das ist im Dax-Vergleich sehr bescheiden, auch wenn es mehr als das Doppelte des durchschnittlichen Jahresgehalts eines hauptberuflichen Universitätsprofessors ist. Objektiv niedrig erscheint es im Zeichen der nachhaltigen Unternehmens- und Führungskrise des ehemals führenden Stahlkochers: Setzt man für den aktuellen Einsatz des Aufsichtsratsvorsitzenden auch nur 100 Tage im Jahr an, kommt ein Tagessatz von 2.000 Euro heraus. Ein „Gehalt“, das Vorstandsmitgliedern der Automobilbranche höchstens als Stundensatz diskussionsfähig erscheint.
Aber die Krise ist auch für Aufsichtsratsmitglieder nicht der geeignete Leistungsmaßstab: Effizienzkriterien sehen anders aus. Unternehmen und alle mit ihnen Verbundenen sind auf einem Markt tätig. Dessen Grundstrukturen und Gesetze sollten auch Managern vertraut sein. Und Preiserhöhungen sind sensible Indikatoren für alle Marktteilnehmer. Bei ihrem Einsatz muss mehr als gründlich bedacht werden, welche guten oder gar strategischen, nicht immer eigennützigen Gründe dazu Anlass geben.
Dies gilt auch für die nach Presseberichten eingeforderte Verdoppelung der Thyssen-Aufsichtsratsvergütung. Sind den Verhandlungspartnern in der Personalie des als Aufsichtsrat-Vorsitz-Neubesetzung vorgesehenen Ex-Daimler-Managers Uebber diese merkantilen Basiskenntnisse abhandengekommen?
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Eine gewisse Blickverengung ist in Essen ja zu beobachten, seit die branchenfremde Kuratoriums-Vorsitzende der Krupp-Stiftung und Thyssen-Krupp-AG-Aufsichtsrätin eine industrielle Verantwortung für die von der Stiftung gehaltenen Aktien schlicht verneint: „Wir sind keine Beteiligungsgesellschaft“, lautete ihr letztes, atemberaubendes Statement. Will sie damit sagen, wir sind eigentlich auch keine Aktionäre? Und als Aufsichtsratsmitglieder mit Sitzgarantie nur Schlossgeister aus der Villa Hügel? Und Geister kennen keinen Markt.
Eine erfahrene Aufsichtsrätin hat mir verraten, dass sie international kein Überwachungsmandat in einem Land übernehmen würde, in dem sie nicht die Boulevardpresse lesen könne. Ein einfaches, aber treffliches Bild für die (zwingend) erforderliche Marktnähe von Unternehmensverantwortlichen. Aber in Essen wird Deutsch gesprochen.
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