Kommentar Aus vier mach zwei: Die großen Wirtschaftsverbände sollten sich reformieren

Die vier großen Wirtschaftsverbände müssen sich neu aufstellen. Schon lange wird in der Politik über die Vielstimmigkeit des Industrieverbands (BDI), der Arbeitgeberorganisation (BDA), des Handwerksverbands (ZDH) und des Industrie- und Handelskammertags (DIHK) geklagt. Dabei wird es in den kommenden Jahren um den Wiederaufbau Europas, den Klimaschutz und die Verteilung der Kosten gehen. Zudem sind deutsche Schlüsselbranchen wie die Autoindustrie und der Maschinenbau in einem tiefen Strukturwandel.
Deutschland hat alle Chancen, gestärkt aus der Coronakrise hervorzugehen. Aber nur, wenn die Wirtschaft sich abstimmt und der Politik klar kommuniziert, welche Prioritäten sie setzen soll. Für die Politik ist es sonst immer am einfachsten, sich aus einem Chor die Stimme herauszusuchen, die einem in den Kram passt. In Berlin fragen sich viele, wie die Kanzlerin die Verbände eigentlich noch sieht.
Der BDI wurde etwa beim letzten Tag der deutschen Industrie mit einer kurzen Videobotschaft abgespeist. Das mag auch an Merkels langer 15-jähriger Amtszeit liegen. Helmut Kohl konnte am Schluss seiner Regierungszeit mit den Forderungen der Bimbes-Leute auch nicht mehr viel anfangen. Umso wichtiger wäre es jetzt, sich für den neuen Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin aufzustellen. Gleich, ob die Union, die Grünen oder die SPD ins Kanzleramt einziehen.
Idealer Zeitpunkt für eine Reform
Der Zeitpunkt, eine große Reform anzupacken, wäre ideal. Drei der vier großen Organisationen bekommen neue Chefs, die mit Mut und mit dem Blick von außen anpacken könnten. Da ist Mr. Industrie 4.0 Siegfried Russwurm beim BDI. Beim Arbeitgeberverband rückt der erfahrene und einflussreiche frühere Gesamtmetallchef Rainer Dulger an die Spitze. Beim Handwerk dreht Präsident Hans Peter Wollseifer voraussichtlich die letzte Runde. Der DIHK hat mit einer Findungskommission den Trierer Peter Adrian für den Topjob auserkoren.
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Fusion von DIHK und ZDH
Die erste Fusion müsste zwischen DIHK und ZDH stattfinden. Per höchstrichterlicher Entscheidung wurde dem DIHK jüngst ein Maulkorb umgehängt. DIHK-Funktionäre dürfen sich derzeit zu Themen wie Brexit oder Israel nicht äußern. Das ist ein unhaltbarer Zustand. In einer globalisierten Wirtschaft müssen sich die Spitzenfunktionäre auch global äußern dürfen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts in Leipzig war ein Fanal gegen das Kammersystem. Die Kammergegner werden keine Ruhe geben und versuchen, weitere Industrie- und Handelskammern aus dem Verein herauszuklagen.

Die großen Wirtschaftsverbände müssen sich neu positionieren.
Beim DIHK lagen lange die Nerven blank, und das Handwerk steckte den Kopf in den Sand, als würde ihm die Probleme der anderen Kammern nichts angehen. Dabei müssten die beiden Organisationen in die Offensive gehen. Wollen sie das Kammerwesen im Kern retten, wofür es viele gute Argumente gibt, müssen die beiden Verbände mit all ihren Kammern zusammengehen.
Österreich kennt nur Wirtschaftskammern. Die Unterscheidung zwischen Industrie, Handel und Handwerk ergibt im Zeitalter der Digitalisierung und Plattformökonomie immer weniger Sinn. Eine Fusion wäre damit ein Befreiungsschlag und würde auch einige Ärgernisse der Mitgliedsunternehmen beseitigen. Zum Beispiel die oft kritisierten Doppelmitgliedschaften.
Zusammenschluss zwischen BDI und BDA
Die zweite große Fusion zwischen BDI und BDA wäre beinahe schon einmal gelungen. Es gab bereits konkrete Pläne für die Zusammenlegung. Der notorisch klamme BDI wäre gerne unter das Dach der Arbeitgeber geschlüpft, die traditionell über hohe finanzielle Mittel verfügen. Im Bremer Ratskeller hatten sich die Präsidenten Ingo Kramer und Ulrich Grillo auf eine Fusion bereits grundsätzlich geeinigt.
Es gab sogar schon gemeinsame Entwürfe für ein Logo. Doch eine Ostwestfalen-Connection auf der Ebene der Hauptgeschäftsführer verhinderte das. In der Politik wird oft gespottet, es gibt Verbände, die vom Ehrenamt geführt werden. Es gibt aber auch Verbände, die vom Hauptamt geführt werden.
Die Aufteilung der Aufgaben wirkt ohnehin wie aus der Zeit gefallen. Die BDA kümmert sich um die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, der BDI um die Industriepolitik. Das ist eine schräge Unterscheidung. Joe Kaeser konnte als Siemens-Chef ein bedingungsloses Grundeinkommen fordern, um die Verlierer der Digitalisierung aufzufangen. Ein BDI-Chef darf das nicht, weil es eine sozialpolitische Maßnahme ist.
Das Thema Homeoffice dagegen wird in vielen Konzernzentralen auch nach Corona eine wichtige Rolle spielen. Dazu darf sich aber nur der BDA-Chef äußern. Das passt alles nicht mehr. Die Zeiten ändern sich und damit auch die Zuschnitte. Die neuen Präsidenten Siegfried Russwurm und Rainer Dulger gelten als starke Figuren. Sie hätten nun die große Chance, dieses Vorhaben zu einem ihrer Leuchtturmprojekte zu machen.
Widerstände brechen
Die beiden Wirtschaftsführer müssten viele Widerstände brechen, sie würden den Unternehmen jedoch einen großen Gefallen tun. Die Verbände fordern zu Recht viele Reformen ein. Es würde ihre Glaubwürdigkeit steigern, wenn sie sich selbst reformieren. Ein Weiter-so nach der Pandemie nutzt niemandem. Die Strategie muss lauten: Aus vier mach zwei.
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