Kommentar Bitte keine Impfpflicht durch die Hintertür

Mehr niedrigschwellige Angebote, weniger Druck und Drohung.
Bundesgesundheitsminister Spahn nannte das Impfen gerade einen „patriotischen Akt“. Bayerns Vizeministerpräsident Aiwanger wird im Fernsehen öffentlich an den Pranger gestellt, weil er sich bislang noch keine Spritze setzen ließ. Und Spahns Ministerium zeigt Impfskeptikern schon mal die Folterwerkzeuge für den Herbst. Ohne Immunisierung heißt es bei Restaurants oder Veranstaltungen vielleicht bald: Wir müssen leider draußen bleiben.
Die Bundesregierung kann noch so oft betonen, dass sie keinen Impfzwang will – auch nicht durch die Hintertür. In Wahrheit ist die Hintertür, die sie sich offenhält, riesengroß.
Zu lange haben sich die politisch Verantwortlichen darauf verlassen, dass es die Impfkampagne schon richten wird. Und tatsächlich hätte vor einem Jahr wohl niemand gedacht, dass bis heute gut jeder zweite Bürger vollständig geimpft ist. Das ist ein großer Erfolg. Aber er wird aller Voraussicht nach nicht reichen, um im nahen Herbst eine vierte Welle zu verhindern. Neben die Appelle und Überzeugungsversuche tritt deshalb immer stärker politischer Druck auf all jene, die sich vom Impfangebot bisher nicht überzeugen ließen.
Das Ende der kostenlosen Bürgertests, die Drohung mit dem Kneipen-Bann sollen auch die letzten Zweifler, die ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit höher hängen als die gesellschaftliche Solidarität, umstimmen. So viel Impfpflicht durch die Hintertür geht inzwischen selbst einigen Ministerpräsidenten deutlich zu weit.
Wenn die Länderchefs am kommenden Dienstag mit Kanzlerin Merkel über das weitere Vorgehen in der Pandemie beraten, dürfte es also durchaus wieder hoch hergehen. Statt weiter Druck aufzubauen, sollte die Runde sich auf das Wesentliche konzentrieren: Nötig ist ein nachvollziehbarer und dann auch für alle Länder verbindlicher Kriterienkatalog, welche Schritte in einer vierten Welle wie zu vollziehen sind.
Inzidenz als alleiniges Kriterium reicht nicht mehr aus
Die reine Orientierung an der Inzidenz reicht dabei nicht mehr aus, andere Kriterien wie regionale Impfquoten oder die Belegung der Krankenhäuser und Intensivstationen müssen berücksichtigt werden. Länder wie die Niederlande oder Großbritannien haben gezeigt, dass selbst hohe Neuinfektionsraten nicht zwingend eine Gefahr sein müssen.
Und die Runde muss zu einem Konsens kommen, wie sich die Impfbereitschaft weiter erhöhen lässt. Alles, was auch nur den Ruch von Zwang hat, sollte dabei unterbleiben. Sonst werden sich die Verantwortlichen in Bund und Ländern irgendwann zu Recht Wortbruch vorwerfen lassen müssen.
Mehr: Nur geimpft zur Arbeit? In Deutschland nimmt die Debatte über eine Pflicht Fahrt auf
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Man kann auch mal sein Wort für einen Schwachsinn gegeben haben, und dann ist es besser, besserer Erkenntnis zu folgen als starrsinnig blöde zu bleiben. (...)Beitrag von der Redaktion editiert. Bitte achten Sie auf unsere Netiquette: „
Persönliche Angriffe und Beleidigungen haben bei uns keinen Platz, dabei ist es egal ob es sich dabei gegen den Autor des Beitrags, andere Nutzer oder dritte Personen richtet." https://www.handelsblatt.com/impressum/netiquette/ Erzählen Sie das mal den vielen Feinstaub-Toten in Innenstädten, den Opfern von Hitzekatastrophen etc. Ein Kommentar zur Entsolidarisierung. Botox ja, Impfen nein? Wenn eine Gesellschaft da keine Maßstäbe einziehen kann, dann hat sie sich aufgegeben. Impfpflicht: ja bitte!