Kommentar Bund und Länder geben zwar eine Öffnungsperspektive – eine Strategie fehlt aber weiterhin

Die neuen Beschlüsse von Bund und Ländern geben der Bevölkerung eine Öffnungsperspektive.
Am 22. März 2020 schränkten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder wegen des Coronavirus erstmals das öffentliche Leben ein. Den ersten Jahrestag dieses Lockdowns dürfte ein Großteil der Republik nun im seit November geltenden zweiten Lockdown erleben: Am Mittwochabend verlängerten Bund und Länder die Einschränkungen grundsätzlich bis Ende des Monats. Doch während vor einem Jahr das Verständnis in der Bevölkerung für die Maßnahmen groß war, macht sich nun zunehmend Corona-Frust breit.
Merkel und die Ministerpräsidenten vereinbarten auch Lockerungsmöglichkeiten, die abhängig vom Infektionsgeschehen in den kommenden Wochen schrittweise greifen könnten. Damit geben die Regierenden den Bürgern und den von Schließungen betroffenen Branchen zumindest eine Perspektive – auch wenn es dauern dürfte, bis etwas mehr Normalität im Alltag spürbar sein wird. Und eine gemeinsame Strategie lässt sich nur schwer hinter dem politischen Kompromiss erkennen, der in der mehr als neunstündigen Videokonferenz ausgehandelt wurde.
Die Einigungen in den Bund-Länder-Runden, die sich zum staatlichen Steuerungsorgan in der Pandemie entwickelt haben, waren selten einfach. So schwierig wie dieses Mal verliefen die Beratungen aber vielleicht noch nie. Die unterschiedlichen Vorstellungen über den Weg aus dem Lockdown prallten aufeinander, der Ton in den Verhandlungen wurde rau.
Am Ende stand ein Beschlusspapier, in dem sich die Beteiligten zu einem einheitlichen Vorgehen bekennen. Doch die große Frage bleibt: Gibt es in Deutschland eine Corona-Strategie – und wenn ja, wie viele?
Großes Gewicht hat natürlich die Position des Kanzleramts. Merkel hat sich früh in der Pandemie festgelegt, für sie gilt der Imperativ der Infektionskurve. Oberstes Ziel sind sehr niedrige Fallzahlen. Unwahrscheinlich ist, dass die Kanzlerin diese Überzeugung in ihren letzten Regierungsmonaten aufgibt. Sie musste dem Öffnungsdruck aber nachgeben, auch wenn sie eine „Notbremse“ bei stark steigenden Fallzahlen durchsetzen konnte.
Innerhalb der Bundesregierung kann sich Finanzminister Olaf Scholz dagegen beherztere Lockerungen vorstellen. Das liegt vielleicht auch daran, dass der SPD-Politiker Kanzler werden möchte und, anders als die scheidende Kanzlerin, die sinkende Zustimmung zum Lockdown in den Umfragen genau im Blick hat. Geimpfte möchte Scholz sobald wie möglich in die Freiheit entlassen, Merkel lehnt einen solchen Impfbonus wiederum ab.
Strategische Orientierungslosigkeit
Die Verhältnisse bei den Länderchefs sind noch verworrener: Da sind die Hardliner der ersten Stunde wie Markus Söder (CSU) aus Bayern, der aber auch schnell die Baumärkte öffnen lässt, wenn es ihm opportun erscheint. Andere überraschten als Seitenwechsler, etwa Michael Kretschmer (CDU) aus Sachsen, der zunächst wenig von Lockdowns hielt und später ‚autoritäre Maßnahmen‘ des Staates forderte.

Dann gibt es auch noch die ungeduldigen Ministerpräsidenten, die aufgrund niedriger Fallzahlen in ihren Ländern mit Öffnungsplänen vorpreschen. Daniel Günther (CDU) aus Schleswig-Holstein könnte man zu dieser Gruppe zählen oder Manuela Schwesig (SPD) aus Mecklenburg-Vorpommern.
Die strategische Orientierungslosigkeit zeigt sich besonders eindrücklich bei der Frage, an welchem Maßstab sich die Pandemiepolitik orientieren sollte. Erst im Februar hatten Bund und Länder einen Inzidenzwert von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen zur neuen Zielmarke für Lockerungen auserkoren.
Nun wird die Schwelle wieder auf das vorherige 50er-Ziel angehoben und dieses noch dazu aufgeweicht: Auch unter einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 sind nun Öffnungsschritte denkbar.
Konterkariert wird der Fokus auf die Infektionszahlen von einer Entscheidung, die Union und SPD am Tag nach der Bund-Länder-Runde im Bundestag trafen: Die Koalition verabschiedete eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Die Bedeutung der Inzidenzwerte, die im November als Richtschnur für eine Lockerung oder Verschärfung von Corona-Maßnahmen gesetzlich verankert worden waren, wurde dabei wieder aufgeweicht.
Stattdessen sollen künftig auch andere Faktoren bei den Entscheidungen über Einschränkungen stärker berücksichtigt werden, beispielsweise der Anteil der Geimpften oder die Auslastung des Gesundheitssystems. Welche Kriterien für eine Lockerung des Lockdowns gelten denn nun?
Die Hürden für Öffnungen im Stufenplan von Bund und Ländern bleiben hoch, auch wegen der Knüpfung an die Inzidenzen. Das Infektionsgeschehen deutet nicht darauf hin, dass die Zahlen bald stabil unter den 50er-Wert fallen werden. Zu lange wurden Alternativen bei der Pandemiebekämpfung ignoriert.
Die Einsicht, dass Schnelltests eine Chance für Öffnungen bieten können, kam spät. Nun fehlen offenbar auch ausreichend Tests, um dieses Ziel im März flächendeckend umzusetzen. Die Bürger stimmen im Lockdown derweil mit den Füßen ab: Das Statistische Bundesamt meldete am Donnerstag nach einer Auswertung von Handy‧daten, dass sich das Bewegungsverhalten der Bevölkerung „stark dem Vorkrisenniveau angenähert“ habe
Mehr: Verfolgen Sie die aktuellen Entwicklungen in der Coronakrise in unserem Newsblog.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.
Solange der Inzidenzwert nicht unabhängig definiert wird, hat er auf dem politischen Parkett nichts zu suchen. Zum Inzidenzwert muss zwingend eine feste Testmenge definiert werden, sonst kann die Inzidenz beliebig von der Politik beeinflusst werden.
Der Inzidenzwert als Maßstab für Grundrechtseinschränkungen ist verfassungswidrig, weil leicht manipulierbar.
@H. R. Siegmund, .......wenn der eine oder andere mal persönlich zurückstecken muß.
Es sind n i c h t der eine oder andere, es sind bis jetzt immer die Gleichen die zurückstecken müssen. Oder einen Sie die monatlichen ca. 60,00 € die als Spende abgeführt werden? Sehr schwierig bei einem Monatssalaer von ca. 11.000 €.
the stupid german
Deutschland einig Vater(Mutti)land, was ist aus dir geworden !!
Dieses gewurschtel sind die Bürger leid !!
Wahltag ist Zahltag !!
Das ist nicht die Zeit für Wahlkampfgeplänkel oder Ministerpräsidenten-
Profilierung. Die regierende Politik muß jetzt beweisen, das sie auch durch
kritische Phasen führen kann. Auch wenn der eine oder andere mal persönlich
zurückstecken muß.