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KommentarBund und Länder haben beim Schutz von Risikogruppen in der Pandemie versagt

Die Politik hat es versäumt, besondere Schutzkonzepte für Hochbetagte und Patienten mit Vorerkrankungen zu entwickeln. Statt Selbstkritik gibt es Schelte für die störrischen Bürger.Gregor Waschinski 15.12.2020 - 18:43 Uhr Artikel anhören

Die Politik hat den Schutz von Risikogruppen lange vernachlässigt.

Foto: dpa

Fast 90 Prozent der fast 23.000 Menschen, die bislang in Deutschland an oder mit dem Coronavirus gestorben sind, waren 70 Jahre oder älter. Die verbleibenden Todesfälle konzentrieren sich weitgehend auf die Altersgruppe der 60- bis 69-Jährigen. Der Altersmedian der Corona-Toten liegt nach Angaben des Robert Koch-Institut (RKI) bei 83 Jahren. Es gibt einen Teil der Bevölkerung, der nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen einer besonderen Gefahr ausgesetzt ist.

Bund und Länder haben es versäumt, eine Strategie für den Schutz dieser Risikogruppen im Herbst und Winter zu entwickeln. Damit haben sie auch die Möglichkeit verspielt, zumindest in einigen Bereichen mehr Alltag und weniger Lockdown zu ermöglichen. Das ist das eigentliche Versagen in der Pandemie.

Selbstkritik aus der Politik ist nicht zu erwarten. Das gängige Narrativ handelt stattdessen vom störrischen Bürger. „Es ist an einigen Stellen ein Schlendrian eingekehrt“, schimpft Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Wenn überhaupt ein Fehler eingeräumt wird, dann der, nicht schon früher den Holzhammer herausgeholt zu haben.

Seit Beginn der Coronakrise wird ein scheinbarer Gegensatz konstruiert: Auf der einen Seite stehen Beschränkungen für die gesamte Bevölkerung. Auf der andere Seiten Maßnahmen, die auf vulnerable Gruppen zugeschnitten sind. Eine langfristige Strategie ist aber nur mit beiden Seiten möglich.

Besondere Schutzkonzepte für Hochbetagte und Patienten mit bestimmten Vorerkrankungen bedeuten keineswegs, dass alle anderen das Virus uneingeschränkt durch die Gegend schleudern dürfen. Zugleich bringt der schärfste Lockdown wenig, wenn das Virus nach einer Lockerung wieder da zuschlagen kann, wo es den größten Schaden anrichtet.

Seit diesem Dienstag können Über-60-Jährige sowie Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen kostenlose FFP2-Masken abholen, die mit einem Filter vor Ansteckung schützen. Besser spät als nie, könnte man meinen.

Planlosigkeit, nicht nur bei der Maskenvergabe

Doch die Maskenvergabe zeigt die Planlosigkeit der Bundesregierung. Kurz vor Weihnachten müssen Anspruchsberechtigte in die Apotheken rennen. Bei einem ähnlichen Experiment im kleinen Bremen bildeten sich im November lange Schlangen.

Auch mit der Anspruchsberechtigung ist das so eine Sache. Die Apotheken können nicht wirklich kontrollieren, ob den Kunden die Masken zustehen und ob sie sich nicht schon beim pharmazeutischen Kollegen zwei Straßen weiter eingedeckt haben.

Die Bundesdruckerei soll jetzt fälschungssichere Gutscheine für je sechs weitere FFP2-Masken herstellen, die im neuen Jahr an Menschen mit statistisch höherem Covid-Risiko verschickt werden sollen. Eine Adressliste gibt es nicht, die Krankenkassen sollen kurzfristig in ihren Versichertendaten suchen.

Foto: Burkhard Mohr für Handelsblatt

Warum hat die Bundesregierung diese Initiative mit Blick auf die zu erwartenden Infektionsrisiken in der kalten Jahreszeit nicht schon viel früher angeschoben? Immerhin seit November schickt Gesundheitsminister Jens Spahn Masken-Pakete an Altenheime, doch auch hier zieht sich die Auslieferung bis Ende Januar hin. Der Einsatz von Antigen-Schnelltests wurde erst Mitte Oktober ermöglicht, weiterhin klagen Pflegekräfte über einen Mangel an Tests.

Verschwendete Zeit im Sommer

Im Sommer wurde gefühlt mehr über Reiserückkehrer aus Mallorca als über Risikogruppen diskutiert. Es ging um Infektionsgefahren in Schulen nach den Ferien, weniger um mögliche Herausforderungen für Krankenhäuser oder Einrichtungen für Senioren in der kalten Jahreszeit. In Bayern versprach Söder kostenlose Corona-Tests für alle, anstatt sich längerfristige Gedanken über einen klugen Einsatz von Ressourcen zu machen.

Experten-Vorschläge zum Schutz von Risikogruppen lagen seit dem Frühjahr vor. Dazu gehören Konzepte wie gesonderte Öffnungszeiten in Geschäften oder Taxigutscheine, um Fahrten im Nahverkehr zu vermeiden.

Vor allem das Kanzleramt hatte sich aber früh festgelegt: Das Virus muss in der Gesamtbevölkerung unterdrückt werden. Gehör fanden vor allem wissenschaftliche Berater, die für diese Linie standen.

Fachleute, die für den Risikogruppen-Ansatz plädierten, galten schnell als Hasardeure. Nicht umsetzbar, lautete die pauschale Kritik. Mindestens ein Viertel der Bevölkerung sei irgendwie Risikogruppe. Ausgeblendet wurde dabei, dass es unterschiedliche Risikograde gibt. Der größte Faktor ist das Alter, wie die Ständige Impfkommission feststellte und wie auch an den Todeszahlen abzulesen ist.

Ohne Schutz von Risikogruppen geht es nicht

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Ein Schutzkonzept für die Risikogruppen bedeutet eben nicht, dass betagte Menschen in der Pandemie ihrem Schicksal überlassen werden dürfen, weil sie ohnehin bald tot seien. Das sei an dieser Stelle ausdrücklich gesagt, weil Hinweise auf den Schutz von Risikogruppen paradoxerweise schnell zu der Unterstellung führen, man schere sich nicht um das Leben der Alten.

Fahrlässig ist, sich in der Pandemie alleine auf den Schutz von Risikogruppen zu konzentrieren. Ebenso fahrlässig ist aber, sich nicht oder viel zu spät um diesen Schutz als Teil einer breiteren Pandemiebekämpfung zu bemühen.

Mehr: Bei der Sicherung der Impfdosen gegen Covid-19 zeigt die EU eine lohnende Einigkeit. Die Vorbereitung der nationalen Impfkampagnen variiert aber stark.

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