Kommentar: China verkalkuliert sich bei den Verhandlungen mit der EU

Für das Verhältnis zwischen Europa und China wäre ein weiterer Aufschub der Verhandlungen kein gutes Zeichen.
Für Angela Merkel war der EU-China-Gipfel noch bis vor Kurzem einer der zentralen Punkte für das Ende ihrer Kanzlerschaft. Sie wollte die über ihre gesamte Amtszeit aufgebaute gute Beziehung zu Chinas Staatschef Xi Jinping nutzen, damit unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft ein historisches Investmentabkommen zwischen Brüssel und Peking geschlossen wird. Eines, das europäischen Unternehmen endlich Zugang zum riesigen chinesischen Markt zu fairen Bedingungen verschafft.
Dass sie jetzt beim zum virtuellen Treffen geschrumpften EU-China-Gipfel nur noch ein vages „Ich denke einmal, es kann klappen“ auf die Frage herausgebracht hat, ob der ursprünglich vereinbarte Abschluss der Verhandlungen in diesem Jahr noch realistisch sei, spricht Bände.
Es zeigt: Beim Gipfel hat China gerade mal so viele Zugeständnisse gemacht, dass ein Abschluss des Investitionsabkommens nicht komplett ausgeschlossen wurde. Zu mehr war die chinesische Führung jedoch offenbar nicht bereit.
Eine Erklärung dafür ist, dass Peking den Ernst der Lage verkennt. Die chinesische Regierung scheint den Schaden, den die heftigen Angriffe auf europäische Mitgliedstaaten in den vergangenen Monaten im chinesisch-europäischen Verhältnis hinterlassen haben, zu unterschätzen.
Doch in Paris hat man nicht vergessen, dass mitten in der Coronakrise die chinesische Botschaft die Behauptung verbreitete, in Frankreich würden Senioren in Altenheimen ohne Versorgung zurückgelassen. In Deutschland erinnert man sich seinerseits ebenfalls genau an die unverhohlene Drohung, die der chinesische Botschafter in Berlin gegen die Bundesregierung ausgesprochen hatte, sollte sich diese gegen Huawei als 5G-Ausrüster entscheiden.
Ebenso haben die anderen europäischen Hauptstädte sehr präsent vor Augen, wie Peking mit einem Handstreich sein Versprechen bezüglich der weitgehenden Autonomie von Hongkong gebrochen hat und dass trotz internationaler Kritik noch immer Uiguren in chinesische Arbeitslager gesteckt werden. Angesichts dessen reichen die Minimalzugeständnisse Pekings bei den Verhandlungen nicht aus.
Für das Verhältnis zwischen Europa und China wäre ein weiterer Aufschub der Verhandlungen kein gutes Zeichen. Ein Land, dessen Beziehung zu den USA auf einem Tiefpunkt ist und das auf den europäischen Absatzmarkt und auf europäische Technologie angewiesen ist, kann sich eine weitere Verstimmung eigentlich nicht leisten.



Es gibt jedoch noch eine zweite Erklärung für Chinas Zurückhaltung bei den Verhandlungen: Teilen der Pekinger Führung ist das Abkommen in Wahrheit möglicherweise gar nicht so wichtig. Stattdessen scheint der gefährliche Eindruck zu wachsen, dass China sich selbst genügt.
Mehr: EU-Handelskammer drängt auf Investmentabkommen mit China.





