Kommentar – Contra: Maßnahmen gegen das Virus: Der Lockdown 2.0 ist ein Fehler

Die Welt hat sich verändert, seit das Virus vor knapp einem Jahr in Wuhan seinen globalen Eroberungsfeldzug antrat.
Ein Lockdown muss her – aber bevor Sie jetzt gleich wieder erschaudern: Damit ist kein weiterer ökonomischer Stillstand gemeint, denn da ist wirklich schon genug Schaden angerichtet worden seit März.
Nein, die Rede ist von einem anderen Lockdown, der im Gegensatz zu den drakonischen Wirtschaftsmaßnahmen nicht mal viel kosten würde: Was wäre, wenn Teile der Regierung, der „Experten“ aller Art, aber auch mancher Medien in eine Art freiwillige Corona-Schweigeklausur gingen? Sagen wir: zwei Wochen?
Um die akute Welle der Hysterie, Panikmache und Untergangs-Menetekel zu brechen? Wäre das nicht ein spannendes Experiment – und vergleichsweise harmlos im Vergleich zu all den Operationen am offenen Herzen einer Gesellschaft im Ausnahmezustand, wie wir sie in den vergangenen Monaten erleben mussten?
Hilfreich wäre es zum Beispiel, wenn der SPD-„Gesundheitsexperte“ Karl Lauterbach und andere apokalyptische Reiter sich selbst mal ein bisschen Talkshow-Abstinenz verordnen würden. Wenn Politiker wie Markus Söder wenigstens einen Herbsturlaub lang damit aufhören könnten, sich einen Wettlauf mit Konkurrenten zu liefern über die Frage, wer der härteste Corona-Bekämpfer im Land ist.
Und durchaus selbstkritisch sei angemerkt: Es wäre auch ein Segen, wenn manche hiesige Medien zu ihrer Rolle als Wächter, Kritiker und nüchterne Faktensammler zurückkehren würden, statt sich als Claqueure von Kanzlerin, Gesundheitsminister oder RKI-Chef zu begreifen.
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Es geht hier gar nicht darum, Corona kleinzureden. Aber Fake News sind nicht nur eine Spezialität von Verschwörungstheoretikern und Neonazis in dunklen Social-Media-Hinterzimmern. Die Reihe der subkutan injizierten Halbwahrheiten begann aus heutiger Sicht schon bei den geradezu olympischen Rankings von Neuinfektionen und kumulierten Krankenzahlen, die ja – wie wir längst wissen – nichts aussagen, aber Angst und Unsicherheit schüren.
Selbst ARD und ZDF hätten in den vergangenen Monaten teils eine „dystopische Endzeitstimmung“ verbreitet, bilanziert eine Inhaltsanalyse der Universität Passau. Der Medienforscher Stephan Russ-Mohl beobachtet gar „mit großer Sorge den Overkill, mit dem die Leitmedien über die Pandemie berichten“. Sie hätten mit ihrem „grotesken Übersoll an Berichterstattung Handlungsdruck in Richtung Lockdown erzeugt“.
Da ist die letzte „Bild am Sonntag“, die auf blutroter Titelzeile atemlos „Außer Kontrolle“ schrie, nur ein besonders eindrucksvolles Beispiel für den aktuellen Kammerton. Außer Kontrolle droht derzeit eher unser Umgang mit Corona zu geraten als das Virus selbst. Alle gesellschaftlichen Subsysteme – Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und ihre Medien – machen zwar, was sie immer tun. Aber das Zusammenspiel dieses Ensembles missrät unter dem Dirigenten Corona zu einer nur noch ohrenbetäubenden Kakophonie.
Dabei hat sich die Welt verändert, seit das Virus vor knapp einem Jahr in Wuhan seinen globalen Eroberungsfeldzug antrat. Wir kennen Corona längst viel besser. Wir wissen, dass das Virus zwar nicht ungefährlich ist, aber auch nicht so todbringend wie anfangs vielerorts befürchtet. Es ist beherrschbar, auch ohne Lockdown – ein Instrument übrigens, das in der gesamten Menschheitsgeschichte bislang einzigartig ist. Und ob diese Idee des totalen Stillstands nun die Rettung oder unsere Büchse der Pandora 2.0 war, können vielleicht erst künftige Generationen beurteilen.
Fakt ist, dass es mittlerweile viele Lösungsansätze und Warnungen gibt, es auch nicht zu übertreiben mit unserem Kampf gegen die Pandemie. Die Zahl der Neuinfektionen steigt zwar gerade – auch saisonbedingt – stark an, die der intensivmedizinisch behandelten Corona-Patienten dagegen und der Todesopfer indes weit weniger im Vergleich zum Frühjahr.
Die Pandemie ist beherrschbar
Auch deshalb plädiert die Kassenärztliche Bundesvereinigung gemeinsam mit rund 50 Verbänden sowie den Top-Virologen Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit in einem frischen Positionspapier für Gebote statt Verbote, für noch besseren Schutz der Risikogruppen und ein genaueres Ampel-Warnsystem, das Streeck erst jüngst im Handelsblatt vorgestellt hat.
Schmidt-Chanasit hat kürzlich darauf hingewiesen, dass in Deutschland jedes Jahr allein 40.000 Menschen „an außerhalb des Krankenhauses erworbenen Lungenentzündungen“ sterben – viermal mehr als die Zahl der Opfer, die Corona bislang gefordert hat. Sein Fazit: Man müsse „das Coronavirus im richtigen Verhältnis zu anderen Krankheiten sehen“.
Er ist damit längst nicht mehr allein: In ihrer Great Barrington Declaration empfahlen namhafte Epidemiologen der Universitäten Harvard, Stanford und Oxford jüngst zwar den „gezielten Schutz“ der Risikogruppen. Der große, große Rest der Bevölkerung allerdings solle sein normales Leben weiterführen, bis durch natürliche Ansteckungen Herdenimmunität erreicht sei – ein Begriff, der hierzulande weiterhin Schnappatmung provoziert. Trotzdem haben das Papier weltweit bereits viele Fachleute mitunterzeichnet.
Der Bundesregierung ist das offenbar egal. Sie will die Zügel wieder anziehen, wie es zuletzt oft hieß. Als seien wir störrische Pferde. In der Beschlussvorlage der Kanzlerin zu ihrem jüngsten Gipfel mit den Ministerpräsidenten heißt es unter anderem streng: „Veranstaltungen, die der Unterhaltung dienen, werden untersagt.“



Wir sind aber keine Höhlenbewohner mehr, sondern Menschen. Trotzdem werden nun wieder Freiheiten eingeschränkt, auch Grundrechte. Es wird wieder an der Legislative des Parlaments vorbei entschieden. Und es wird wieder billigend in Kauf genommen, dass nun endgültig Teile der Wirtschaft irreparabel geschädigt werden.
Diese Krise hat viele Verantwortliche. Das Virus ist leider nur noch einer davon.
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