Kommentar Das 365-Euro-Ticket braucht einen Plan

Politiker finden die günstige Jahreskarte für Busse und Bahnen großartig. Verkehrsunternehmen warnen dagegen vor hohen Verlusten durch das Ticket.
Ist es schlau, sich gegen das 365-Euro-Ticket im Kommunalverkehr zu stellen? Ein Euro pro Tag und freie Fahrt auf allen Verkehrsmitteln – das klingt gut. Wer dagegen ist, stellt sich gegen eine Verkehrs- und Klimawende – in der aktuellen Debatte ein schwieriges Unterfangen.
Dennoch ist es richtig, dass die Verkehrsunternehmen dagegenhalten. Es war sogar überfällig. Erste vom Bund geförderte Modellstädte wie Bonn probieren das Ticket aus, weitere werden mit dem ausgelobten 300-Millionen-Euro-Klimaprogramm der Bundesregierung folgen. Ist die Welle erst einmal richtig ins Rollen gekommen, dürfte es kein Halten mehr geben.
Es muss jetzt die Notbremse gezogen werden. Nicht, weil die Verkehrsunternehmen kleinkrämerisch jedes Argument aus der Schublade holen, das gegen ein 365-Euro-Ticket spricht. Wie halten wir es auf dem Land, wo die Bürger schon froh wären, wenn überhaupt ein Bus käme? Wer zahlt den Ausgleich? Geht das überhaupt in Millionenstädten? Das alles sind lösbare Probleme.
Das Konzept der bundesweiten Flatrate für den Nahverkehr ist grundsätzlich gut und richtig. Was nicht passt, ist der Zeitpunkt der Umsetzung. 365- Euro-Tickets wecken Erwartungen, die von den Verkehrsunternehmen nicht erfüllt werden können – zumindest nicht jetzt.
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Drei Jahrzehnte wurden die „Öffentlichen“ kaputtgespart, verkamen Gleise und Bahnhöfe, wurden Busfahrer zu Billigtarifen in ausgelagerten GmbHs beschäftigt. Jetzt per Kabinetts- oder Stadtratsbeschluss eine Verkehrswende für den nächsten Tag zu bestellen ist illusorisch.
Es prallen unübersehbar Welten aufeinander: Politiker in Bund, Land und Kommunen wollen den starken Rückenwind der öffentlichen Meinung nutzen und ihre Verkehrssysteme zu Wachstum und Modernisierung verpflichten. Manchmal treiben auch die Gerichte wie in Hamburg oder in Stuttgart, weil Fahrverbote angeordnet werden und die Menschen weiter zu ihren Arbeitsplätzen kommen oder einkaufen wollen.
Auf der anderen Seite stehen die Verkehrsunternehmen, die das gewagte Projekt umsetzen müssen. Es ist fraglich, ob die Beteiligten wirklich wissen, was das am Ende kostet. Die Anschaffung zusätzlicher Busse und Bahnen, der Ausbau von Schienenwegen und die Modernisierung werden viele Milliarden Euro verschlingen. Nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen.
Verwaltungen haben keine Planungskapazitäten
Unterstützer der Idee werden darauf verweisen, dass die Finanzierung doch kein großes Problem sei. Tatsächlich steckt der Bund, auf zehn Jahre gerechnet, 62 Milliarden Euro in die Deutsche Bahn. Die Kommunen werden künftig mit zwei Milliarden Euro aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zugeschüttet. Neun Milliarden Euro kommen ohnehin jedes Jahr aus Berlin für den Nahverkehr auf der Schiene.
Aus weiteren Fördertöpfen sprudeln Hunderte Millionen für Digitalisierung, alternative Antriebe und Modellprojekte. Weder die große Bahn noch der kleinste kommunale Verkehrsbetrieb können sich also vorerst über einen Mangel an Geld beklagen.
Doch bei den Verkehrsbetreibern ahnt man: So schnell geht die Wende nicht. Neue Busse haben Lieferzeiten, hinzu kommen Lieferprobleme der Bahnindustrie. Die Verwaltungen haben keine Planungskapazitäten, geschweige denn fertige Ausbaupläne in der Schublade. Selbst die Deutsche Bahn mit Tausenden von Ingenieuren ist kaum in der Lage, die zur Verfügung stehenden Sofortmittel für das schnelle Schließen von Lücken im Netz abzurufen.
Selbst wenn das Planungsproblem gelöst wäre, was käme dann? Wenn die Baumaschinerie der Bahn so richtig ins Rollen kommt, gibt es noch mehr Engpässe im Netz, dafür weniger und natürlich unpünktlichere Züge.
Mit dem vielen Geld sind große Hoffnungen verbunden: auf einen verdichteten Takt, optimierte Netze und wirklich attraktive Busse und Bahnen, emissionsfrei, versteht sich. All die Wünsche sind berechtigt, schließlich sind es Steuergelder, die vernünftigerweise in das Verkehrssystem gepumpt werden. Doch das Ganze gelingt nur, wenn auch das Erwartungsmanagement stimmt. Den Bürgern zu suggerieren, alles werde ganz schnell besser, ist fahrlässig. Denn am Ende steht die große Enttäuschung.
Die Politik zieht wieder den Stecker, die Finanzen versiegen. Die Verkehrs- und die Klimawende verrecken auf halber Strecke.
Deshalb lohnt es sich, über einen Deutschlandfonds zur langfristigen Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur zu diskutieren. Das mögen die Haushaltspolitiker nicht, weil ihnen die Gestaltungsmacht entgleitet. Aber es gibt Situationen, in denen genau das richtig ist. Verkehrsinvestitionen eignen sich definitiv nicht, nach Kassenlage hoch- und runtergefahren zu werden. So haben wir in der Vergangenheit den öffentlichen Verkehr in Deutschland ruiniert.
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