Kommentar: Das Rennen um die Chips wird auch an den Universitäten entschieden

Die Welt braucht neue Fabriken - aber genauso wichtig ist qualifiziertes Personal für das Chipdesign.
Die schlechten Nachrichten aus der Chipbranche reißen nicht ab. Nach wie vor kann die Industrie lange nicht so viel liefern, wie die Kunden bestellen. Das hat immer dramatischere Folgen. Opel etwa schließt sein Werk in Eisenach gleich bis Jahresende, weil die elektronischen Bauteile fehlen. Auch bei Ford in Köln und Saarlouis stehen momentan die Bänder still.
Die Politik ist zu Recht alarmiert. Weltweit haben die Regierungen deshalb angekündigt, die Chipkonzerne mit Milliarden an Subventionen zu unterstützen. US-Präsident Joe Biden nimmt mehr als 50 Milliarden Dollar in die Hand, damit sich Amerika stärker selbst versorgen kann. Japan und Südkorea ziehen nach. China steckt seit Jahren ungeheure Summen in die Industrie.
Selbst in Brüssel stehen die Halbleiter ganz oben auf der Agenda, wenngleich noch unklar ist, wie viel Geld wirklich fließen wird. Eines der ambitionierten Ziele: Bis 2030 will die EU den Anteil Europas an der globalen Chipproduktion auf 20 Prozent verdoppeln.
Die neuen Werke braucht es, denn angesichts des durch die Pandemie ausgelösten Digitalisierungsschubs wird die Nachfrage eher noch steigen. Allerdings reicht es nicht, lediglich neue Kapazitäten aufzubauen. Nicht minder bedeutsam ist, rechtzeitig für ausreichende Mitarbeiter zu sorgen. Denn Nachwuchs zu gewinnen ist für viele Chipfirmen schon heute eines der größten Probleme. Der weltweite Kampf um die Chips wird nicht nur in den Reinräumen, sondern auch in den Schulen und Universitäten entschieden.
Die Zeit drängt. Ein Werk zu bauen ist in zwei bis drei Jahren erledigt. Das mag angesichts der akuten Lieferschwierigkeiten lange erscheinen. Halbleiterspezialisten auszubilden braucht indes mindestens die doppelte Zeit.
Infineon baut einen neuen Studiengang auf
Wie kritisch die Lage ist, zeigt das Beispiel Infineon. Europas größter Halbleiterhersteller hat gerade sein weltweit modernstes Werk im österreichischen Villach eröffnet. 1,6 Milliarden Euro nimmt der Dax-Konzern dafür in die Hand. Die Fabrik ist hochautomatisiert. Dennoch sucht das Unternehmen dafür händeringend 200 Mitarbeiter.
So geht es vielen Chipkonzernen in Europa. Die Auftragsbücher sind voll, aber es fehlt an qualifiziertem Personal. Eine Lösung könnte eine noch engere Kooperation zwischen Industrie und Hochschulen sein.
Infineon geht diesen Weg gerade in Villach. Die Münchener unterstützen vor Ort personell und finanziell einen neuen Studiengang, der sich auf Leistungshalbleiter fokussiert. Auf diesem Feld ist Infineon der Weltmarktführer, es ist aber auch eine der großen Stärken der europäischen Chipindustrie insgesamt. Die Absolventen dürften beste Aufstiegschancen bei Infineon haben, aber auch an vielen anderen Orten in Europa.
Natürlich arbeiten die Hightech-Konzerne schon mit vielen Universitäten zusammen. Aber nach wie vor reicht die Zahl an Absolventen nicht aus. Das liegt auch daran, dass sich nach dem Schulabschluss zu wenige junge Menschen für ein Technikstudium entscheiden. Vor allem Frauen machen einen Bogen um diese Studiengänge.
Schon in den Gymnasien sollten sich die Lehrer über eins klar sein: Europa kann in einer der wichtigsten Hightech-Branchen mit dem Rest der Welt nur mithalten, wenn die Jugend sich für Naturwissenschaften und Technik begeistert.
Die größte Wertschöpfung liegt im Chipdesign
Der Mangel an Chipexperten ist auch deshalb so gravierend, weil die größte Wertschöpfung nicht in den Reinräumen stattfindet, wo viele Mitarbeiter keinen Hochschulabschluss benötigen. Die wichtigste Arbeit geschieht vor dem Computer: in der Halbleiterentwicklung und bei den Anwendungen für die Bauteile.
Noch bedeutsamer als neue Werke in Europa aufzubauen ist es daher, das passende Personal fürs Chipdesign auszubilden. US-Firmen wie Nvidia und Qualcomm haben das früh erkannt und von vornherein auf eigene Fabriken verzichtet. Sie gehören mit diesem sogenannten „Fabless“-Konzept zu den wachstumsstärksten und wertvollsten IT-Firmen weltweit.




Neue und größere Studiengänge reichen aber nicht. Europa muss bestehende Forschungseinrichtungen ausbauen und weitere aufbauen. Die Fraunhofer Gesellschaft, IMEC in Belgien und das französische CEA-Leti genießen einen hervorragenden Ruf weltweit. Dabei darf es nicht bleiben. Jedes EU-Land sollte den Anspruch haben, bei der Chipforschung vorn mit dabei zu sein.
Nur wer die komplexe Technologie durchdringt, kann Abhängigkeiten vermeiden. Das Beispiel China zeigt, wie wichtig das ist: Dem riesigen Land fehlt trotz gewaltiger finanzieller Ressourcen bis heute das Know-how, um die meisten Chiptypen selbst zu entwickeln – und auch für die nötigen Maschinen. Die US-Sanktionen treffen chinesische Konzerne wie Huawei daher ins Mark. Europa sollte dies eine Lehre sein: Ohne eigenes Chip-Know-how geht es nicht.
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