Kommentar Das Tarifeinheitsgesetz ist einer der größten politischen Fehler in Sachen Arbeitsrecht

Die GDL hat ihren Arbeitskampf im Personenverkehr trotz des neuen Angebots der Deutschen Bahn gestartet.
Der seit Monaten dauernde Tarifkonflikt zwischen der Lokführergewerkschaft GDL und dem Management der Deutschen Bahn hat eine Dimension erreicht, wie es sie in der deutschen Tariflandschaft seit den 1970er-Jahren nicht mehr gegeben hat. Zum Streit über Lohn, Arbeitsbedingungen und Renten gesellt sich ein politischer Kampf um das Tarifrecht. Das Ganze wird von GDL-Chef Claus Weselsky garniert mit persönlichen Angriffen und Beleidigungen, die nicht mehr zu ertragen sind.
Es fällt nicht schwer, Weselsky in der aktuellen Auseinandersetzung zum Buhmann zu erklären. Wie bekannte Populisten poltert der Gewerkschaftler, nimmt Formulierungen in den Mund, die einen fassungslos machen. Auch Weselsky ist groß darin, die Medienvertreter anzugreifen, ihnen Falsch- und Desinformation vorzuwerfen.
Immer schon wurden Tarifkonflikte in Deutschland hart ausgetragen. Doch die Fetzen flogen hinter den Kulissen, am Verhandlungstisch. Weselsky hat das mit einer bisher unbekannten Aggressivität in die Öffentlichkeit getragen.
Angesichts seiner verbalen Ausbrüche mögen viele nur noch den Kopf schütteln. Da steht der Chef einer Spartengewerkschaft mit vielleicht 38.000 Mitgliedern und geriert sich als letzter echter Klassenkämpfer. Ist das nicht völlig aus der Zeit gefallen?
Es stimmt, Weselsky sieht sich selbst in der Rolle eines Kämpfers für „die da unten“ und gegen „die da oben“. Das prägt sein ganzes Handeln. Aber auch wenn die Art und Weise, wie er das macht, untragbar ist: In der Sache weist der GDL-Chef auf Probleme hin, die nicht zu leugnen sind. Der Konflikt bei der Deutschen Bahn ist eine Mahnung an uns alle, Dienstleistungsberufe künftig stärker wertzuschätzen.
Mehr Anerkennung für den „Dienst am Menschen“
Die Brücke mag etwas weit geschlagen sein: Aber die Pandemie hat gezeigt, dass unsere Gesellschaft viel zu schäbig mit dem Personal umgeht, das keine Produkte fertigt, sondern im weitesten Sinne Dienst am Menschen leistet. Es geht um die Mitarbeiter in den Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Es geht aber auch die Mitarbeiter in der Gastronomie, bei Events, bei der Deutschen Bahn, bei den Rettungsdiensten oder der Polizei.
Natürlich kann man trefflich darüber streiten, ob ein Lokführer, der isoliert von anderen in seinem Führerstand einen sicheren Job hat, wirklich eine Coronaprämie verdient. Doch schon bei den Zugbegleitern ist das sicher keine Frage mehr.
Und grundsätzlich gilt: Die Bahn ist ein Unternehmen der kritischen Infrastruktur. Als Quasi-Monopolist im Fernverkehr ist diese Rolle sogar sehr ausgeprägt. Wir alle wollen, dass sie ihre Aufgabe pünktlich und zu unser Zufriedenheit erfüllt. Klappt das nicht, ist der Frust groß. Also muss die Arbeit hier auch entsprechend gewürdigt werden.
Was heißt das nun für Tarifkonflikte wie den aktuellen bei der Deutschen Bahn? Bisher sind alle Versuche, das komplexe Tarifrecht so zu verändern, dass monatelange Arbeitskämpfe vermieden werden, gescheitert. Das Tarifeinheitsgesetz hat gnadenlos versagt. Es erweist sich als einer der größten politischen Fehler in Sachen Arbeitsrecht. Es muss also fallen.
Erfolgsbeteiligung statt Tarifstreit
Die Pflicht, vor einem Streik erst die Schlichtung zu versuchen, erfüllt ihren Zweck auch nicht wirklich. Das Streikrecht und die Koalitionsfreiheit, also die freie Entscheidung darüber, welcher Gewerkschaft man sich anschließt, werden rechtlich kaum einzuschränken sein. Jeder Versuch würde spätestens vor den höchsten Arbeits- und Verfassungsrichtern scheitern.
Aussichtsreicher scheint es, Tarifkonflikten von vornherein die Schärfe zu nehmen. Ein möglicher Ansatz: Mitarbeiter, die Dienst am Menschen leisten, verdienen mehr Anerkennung. Das muss sich zum einen in Form von Geld ausdrücken. Viele dieser Berufe werden nicht angemessen bezahlt. Es muss aber durch eine finanzielle Beteilung der Belegschaft am Erfolg geschehen.
Die Anerkennung ist jedoch nicht nur eine Aufgabe der Arbeitgeber. Es ist eine für die Gesellschaft insgesamt. Wir müssen nicht nur bereit sein, mehr für diese Dienstleistung zu bezahlen. Wir müssen auch den Umgang mit dem Personal ändern. Immer häufiger werden Mitarbeiter in Zügen, in Flugzeugen, in Krankenhäusern oder bei Rettungsdiensten, Feuerwehr und Polizei angegriffen – verbal, aber auch tätlich.
Steigt die Wertschätzung für diese Jobs, würde Gewerkschaftsführern wie Weselsky zumindest etwas der Wind aus den Segeln genommen werden. Es würde ihm schwerer fallen, die Mitglieder für fragwürdige Arbeitskämpfe zu mobilisieren. Denn das Bild vom Kampf der Arbeit gegen das Kapital, das der Gewerkschaftschef gerne benutzt, verlöre erheblich an Wirkung.
Mehr: Prall gefüllte Streikkasse: GDL hat einen langen Atem im Tarifkonflikt
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Sehr geehrter Herr Koenen,
das ist ein sehr guter Kommentar und trifft den Nagel auf den Kopf.
Es ist mir vollständig schleierhaft, wie sich die GDL Mitglieder in der Sache und mit der Person ihres Vorsitzenden identifizieren können. Das ist jenseits jeglicher staatsbürgerlichen Verantwortung.