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Kommentar Das „Vorsorgeprinzip“ der Kanzlerin in der Pandemie ist einseitig

Merkels Vorsorge hat nur das Infektionsgeschehen und das Gesundheitssystem im Blick. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Aspekte kommen dabei zu kurz.
20.01.2021 - 07:17 Uhr 11 Kommentare
Seit Beginn der Coronakrise befindet die Kanzlerin sich in einem Tunnel. Quelle: dpa
Angela Merkel mit Maske

Seit Beginn der Coronakrise befindet die Kanzlerin sich in einem Tunnel.

(Foto: dpa)

Ein Wort sprach Angela Merkel nach den mühsamen Beratungen mit den Ministerpräsidenten besonders häufig aus: Vorsorge. „Das Vorsorgeprinzip hat für uns Vorrang“, sagte die Kanzlerin und dachte dabei an das Unheil, das durch ansteckendere Mutationen des Coronavirus über das Land hereinbrechen könnte.

Wie groß die Gefahr durch die Mutanten tatsächlich ist, kann die Wissenschaft nicht klar beantworten. Es gibt bislang vor allem Hinweise und Modellrechnungen. Aber Vorsorge, möchte man meinen, schadet ja nie.

Das Problem von Merkels Prophylaxe in der Pandemie: Der Vorsorgegedanke, der ihre Politik treibt, ist einseitig ausgerichtet. Sie blickt vor allem auf das nicht immer leicht zu erfassende Infektionsgeschehen und eine mögliche Überlastung des Gesundheitssystems. Es geht um statistische Erwartungswerte zur Ausbreitung des Virus. Und um die Zahl 50, den willkürlichen Zielwert bei den Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen, dem alles untergeordnet wird.

Die Kontrolle des Virus ist ein wichtiges, aber nicht das einzige Ziel dieser Krise. Mehr Vorsorge wäre auch bei den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Regierungspolitik wünschenswert. Denn es geht um viel mehr als nur „Kollateralherausforderungen“ – ein eigentümliches Wort, das der bayerische Ministerpräsident Markus Söder in der Pressekonferenz mit Merkel prägte.

Kein vernünftiger Mensch fordert die sofortige Rückkehr zur Normalität, zu ausgelassenen Volksfesten, voll besetzten Fußballstadien, maskenlosen Zugfahrten. Doch gehört es nicht auch zur Vorsorge, dass Kinder wieder in der Schule lernen können? Dass Ladenbesitzer oder Gastronomen nach der Krise noch eine Existenz haben? Dass die Volkswirtschaft insgesamt nicht zu großen Schaden nimmt?

Seit Beginn der Coronakrise befindet sich Merkel in einem Tunnel, eine Reihe von Ministerpräsidenten begleitet sie dort. Söder gehört dazu. Beraten lässt sich die Kanzlerin maßgeblich von Experten, die ihre Sicht auf die Herausforderungen der Pandemie teilen. Wie die nicht immer leicht nachvollziehbaren Maßnahmen dann im Einzelnen wirken, können sie aber auch nicht beantworten.

50er-Inzidenz als Mantra

Wenn Merkel eine erneute Verlängerung und Verschärfung des Lockdowns verkündet, spricht sie von einer „Zumutung“, die aber zwingend notwendig sei. Die Kanzlerin läuft Gefahr, dass sich das Beschwören von Zumutungen und Kraftakten abnutzt. Die Bereitschaft, die Regeln einzuhalten, scheint in der Bevölkerung mittlerweile geringer ausgeprägt zu sein als im Frühjahr.

Merkels Mantra in der Pandemie ist die 50er-Inzidenz. Ab diesem Wert bei den Neuinfektionen könnten die Gesundheitsämter die Infektionsketten nachverfolgen, diesen Satz wiederholt die Kanzlerin immer und immer wieder.

Ob das tatsächlich so ist und wie sich dieser beinahe existenziell anmutende Wert genau ableitet, wird schon gar nicht mehr hinterfragt. Ebenfalls viel zu selten wird die Frage gestellt, warum es nicht gelungen ist, die Gesundheitsämter seit dem vergangenen Frühjahr besser aufzustellen.

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Nun kündigen Bund und Länder in ihrem Beschluss wieder einmal an, die Ämter digitaler und vor allem schlagkräftiger zu machen. Die neueste Wunderwaffe nach dem schon laufenden Einsatz von Bundeswehrsoldaten: Studenten. Sie sollen für die Semesterferien von Mitte Februar bis Mitte April für die Nachverfolgung der Kontakte von Infizierten gewonnen werden.

Man darf bezweifeln, dass der 50er-Wert trotz rückläufiger Infektionszahlen bis zur neuen Lockdown-Frist Mitte Februar bundesweit erreicht werden kann. Auch mit strengen Maßnahmen ist die Eindämmung des Virus in der kalten Jahreszeit viel schwieriger, anders als beim ersten Lockdown im April 2020. An ihrer pauschalen Strategie halten Bund und Länder aber fest.

Selbst wenn Covid-19 natürlich auch jüngere Menschen schwer treffen kann – die Krankheit ist nach allen verfügbaren Erkenntnissen sehr altersspezifisch. Doch der Schutz von hochbetagten Risikogruppen, insbesondere in Alten- und Pflegeheimen, taucht auch im aktuellen Beschluss eher halbherzig auf. Immerhin sollen bis Mitte Februar alle Heimbewohner geimpft sein.

Ohnehin ist Impfen in Merkels Corona-Tunnel die einzige Aussicht auf größere Lockerungen. Bislang lautete die Zeitangabe der Bundesregierung für eine ausreichende Immunisierung der Bevölkerung: „Im Sommer“. Am Dienstagabend verschob die Kanzlerin das Impfziel beiläufig auf „Ende des Sommers“. Vorsorglich.

Mehr: Merkel und Ministerpräsidenten verlängern den Lockdown – aber vieles bleibt vage

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11 Kommentare zu "Kommentar: Das „Vorsorgeprinzip“ der Kanzlerin in der Pandemie ist einseitig "

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Hallo Herr Wschinski,
    danke für den schönen Kommentar.
    Warum weisen Sie nicht darauf hin, dass der Inzidenzwert sich ursprünglich zur Zeit seiner Entstehung auf 400.000 Tests pro Woiche beziogen hat, wohingegen aktuell mehr als die dreifaxche Menge getestet wird, ohne dass der Wert entsprechend korrigiert wird. Dem Inzidenzwert fehlt die Basis und damit ist er als Maßstab für Maßnahmen schlichtweg unbrauchbar.
    Das sture Festhalten von Frau Merklel an diesem fehlerhaften Wert zeigt doch, wie einseitig sie an das Thema herangeht, daher fordere ich alle Juristen auf, die diesen Fehler auch so sehen, endlich beim Verfassungsgericht gegen alle Maßnahmen, die mit dem Inzidenzwert begründet werden, anzugehen. Ausgehend von der "Positivenquote des RKI" läge der Inzidenzwert derzeit übrigens bundesweit bei gut 60 !

  • Chapeau Herr Waschinski, ein guter Artikel! Auf den Punkt. Meiner Meinung nach: zu keinem Zeitpunkt wurde das Versagen der Politik derart unverblümt zur Schau gestellt, wie in den vergangenen Monaten. Ein Theaterstück, Genre: Drama. Nur dürfen die Zuschauer nicht aufstehen und gehen und vor allem dürfen Sie eines nicht, die Preise für die Billets zurückverlangen. Nein, die Protagonisten bitten für das Debakel weiter zur Kasse; Abrechnung nun nach Länge des Stücks, ein erlösendes Ende nicht in Sicht. Das gebildete Publikum kann sich nur beschämt abwenden. Die mir bekannten Unternehmer urteilen mit „gescheitert“. So darf und kann kein Land geführt werden, welches dem Anspruch ihrer Steuerzahler auch nur im Ansatz gerecht werden möchte.
    Die Schwächen des äußerst trägen politischen Systems aber auch die Überforderung der eingebundenen Person wird leider deutlich, bekommt durch die kreativlosen und in der Tat einseitigen (wohl leider auch wirkungslosen) Entgegnungsversuche einen üblen Beigeschmack. Mich bekümmert besonders das Diktat und auch der Duktus gegenüber Unternehmen. Gerade diese haben aufgrund des naturgemäßen Eigeninteresses und freilich nicht nur aus altruistischen Gründen längst effektive Mittel etabliert, die etwa Betriebsschließungen verhindern sollen. Die Wirtschaft hat die Problematik schneller, intelligenter und besser bedient. Wenn es in diesen Land wieder nach oben geht, dann aufgrund der überwiegenden Mehrheit der Personen, die jeden Tag unbeirrt und mit gesunder Gelassenheit bei Einschaltung des Verstandes Verantwortung übernehmen und derzeit z.T. aufgrund äußerst mangelhafter Reaktionsgeschwindigkeiten allein gelassen werden. Den Erfolg wird kein Politiker für sich verbuchen können, auch wenn die Bemühungen einiger Aspiranten derzeit groß sind. Sobald mir die Regierung unter zumutbaren Bedingungen wieder Reisefreiheit gewährt, werde ich am Denkmal von Adam Smith in Edinburgh einen Blumenstrauß niederlegen. Aber zunächst zu Akt 2 des Dramas.

  • Die Zahl 50 ist nicht willkürlich gewählt, sie ist möglicherweise sogar zu hoch. Es geht um Kipppunkte und exponentielles Wachstum/ Schrumpfung. Wurde doch erst gestern im Handelsblatt erklärt

  • In der Sache passt vieles nicht zusammen! Rational und abgewogen ist hier schon lange nichts mehr. Ein Video zum Nachdenken https://www.youtube.com/watch?v=cFGXmqjNzY0&feature=youtu.be

  • @Herr A. Peter,
    Sie haben vollkommen Recht.
    Mann(Frau) könnte noch die Parteien Grüne und SPD hinzu fügen.(zumindest teilweise)

  • Wo sind eigentlich derzeit die Vergleiche zu anderen europäischen Ländern, welche die Geschäfte teilweise öffnen ? Müssten diese nicht alle durchweg panisch nach Hilfe rufen, da sie ja ein vermeintlich viel viel schlechteres Gesundheitssystem als Deutschland haben ?

    Nein, besser nicht weil dann könnte ja die dt Bevölkerung die Maßnahmen in Frage stellen.
    Wir gehen jetzt den Weg weiter, sollten wir davon abweichen müsste man sich ja die Frage gefallen lassen, ob die Maßnahmen wirklich alle sinnvoll waren..

    Wer sich beruflich in der Pharmaindustrie umhört stellt fest, dass die Medikationen gegen Depression, Krebs und auch "domestic violence" zugenommen haben.
    Aber gut sind halt Kollateralschäden.


  • Leider herrscht in Deutschland eine latente Angst- und Paniksituation vor. Man hat das beklemmende Gefühl, dass unsere Medien zum Theme Corona und COVID-19 mittlerweile alle gleichgeschaltet sind. Kritiker und zurückhaltende Virologen kommen nicht in dem Umfang zu Wort, als die im Vergleich große Gruppe der Scharf- und Panikmacher. Ferner wird auch die ethische Fragestellung vollkommen ausgeblendet, ob wir unsere Wirtschaft und die Zukunft unserer Kinder auf dem Opferaltar der älteren und sichenden Bevökerungsgruppe darreichen müssen. Nur wenige Politiker, wie z.B. Herr Lindner oder Herr Scheuble trauen sich aus der Deckung und artikulieren den einen oder andere nachdenkliche Satz.

    Derzeit ist es leider politisch und gesellschaftlich nicht opportun gegen den Main-Stream zu schwimmen - Schade, jetzt könnten wir realitätsbezogen auch mal "querdenken"

  • Die Impfung ist m.E. die größte Fehlleistung der aktuellen Regierung. Zu wenig bestellt, zu schlecht geplant, handwerkliche Fehler in der Umsetzung. Peinlich und erbärmlich für dieses Land, dass so viel Geld hat!

  • Alle Grundrechte werden seit einem Jahr mit Füßen getreten, ständig gibt es immer noch größere und noch dauerhaftere Einschränkungen. Dann wird uns mit dem Wert von 50 wieder die Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter versprochen. Wie denn eigentlich? Mit Hinterhertelefonieren bei Bürgern, von denen viele kein Deutsch verstehen, denen das völlig egal ist, die 8 Jahre alt sind und deshalb gar nicht erreicht werden können oder Menschen, die schlichtweg keine Auskunft geben können oder wollen?
    Am völlig unsinnigen Datenschutz in einer Corona-Warnapp, die nicht mal ansatzweise diesen Namen verdient hat, wird daber keinen Millimeter gerüttelt. Das stellt komischerweise niemand in Frage. Warum? Das ist mir wirklich ein Rätsel. Wenn wir dann mal wieder im Frühjahr (im Winter wird es damit eh nichts werden!) den Wert von 50 erreicht haben, bis dahin 20 Prozent der Bevölkerung und der Wirtschaft pleite und in absoluter Verzweiflung sind, dann fangen wir wieder an, mit Soldaten und Studenten auf völlig veralteter Datenlage und ohne jegliche Digitalisierung (aber unter Hochhaltung des Datenschutzes!) den Infizierten hinterherzutelefonieren? Um dann ohne jegliche Digitalisierung aber unter Hochhaltung des Datenschutzes was daraus zu lernen, was wir nach eineinhalb Jahren immer noch nicht wissen?
    Armes Deutschland. Aber wer wundert sich eigentlich noch, wenn wir die letzten 16 Jahre (!) mit einer Königin, äh sorry, Kanzlerin an der Spitze verbracht haben, deren eigene Digitalisierungskenntnisse wahrscheinlich gerade so weit reichen, dass sie einigermaßen ihr eigenes Smartphone mit aus Sicherheitsbedenken super eingeschränkten Funktionen bedienen kann...und bei den Ministern sieht es wahrscheinlich keinen Deut besser aus.

  • @Herr Jürgen Mächtel
    Bei dieser Regierung Merkel-Spahn-Leyen-Akk ist ein Optimismus nicht mehr möglich. Es ist ein Macht Erhaltung und Pfründe Betrieb mit Einheitspartei. Denker wie Herr Merz werden kalt gestellt - Ideologen hofiert.

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