Kommentar Der Aufstand von Corporate America für das Wahlrecht sollte anderen Managern Mut machen

Demonstranten strecken vor dem Georgia State Capitol, dem Sitz der Regierung von Georgia, ihre Fäuste in die Luft, während sie auf die Ankunft der demokratischen Abgeordneten im Repräsentantenhaus des US-Bundesstaates Georgia, Park Cannon, warten. Cannon wurde verhaftet, nachdem sie an die Tür des Gouverneurs klopfte, als dieser ein Wahlgesetz unterzeichnet hatte.
„Halten Sie sich raus aus der Politik!“ Diesen Rat gab kürzlich der republikanische Minderheitsführer Mitch McConnell im US-Kongress jenen Managern, die sich öffentlich gegen Wahlrechtsreformen in republikanisch regierten US-Bundesstaaten wie Georgia wandten, mit denen dort insbesondere Schwarzen der Gang zur Wahlurne erschwert werden soll.
Dass jetzt mehr als 100 amerikanische CEOs im Streit über das Wahlrecht in Amerika Haltung zeigen, ist ein Ausrufezeichen: Wenn es um demokratische Grundrechte und damit um das Überleben der Demokratie geht, kann der Chef nicht schweigen.
Jahrzehntelang war McConnells Mantra die Leitlinie nicht nur für amerikanische Manager. Auch hierzulande heben Konzernlenker wie VW-Chef Herbert Diess gern die Hände, wenn es um die politische Verantwortung international tätiger Unternehmen etwa für ihre Geschäfte in Diktaturen wie China geht.
Der unpolitische CEO ist jedoch seit Langem eine Chimäre. In Zeiten globaler Lieferketten und massiver sozialer Verwerfungen kann Wegducken sogar zur Gefahr für das Unternehmen selbst werden. Boykottaufrufe gibt es nicht nur für Haltung, sondern auch für Schweigen.
Unternehmen sind soziale Organisationen und nehmen Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft. Insofern ist ihr Handeln oft auch politisch. Dass Trends wie „Corporate Social Responsibility“ und „Environmental, Social and Corporate Governance” seit Jahrzehnten fester Bestandteil der Unternehmensführung sind, zeigt, dass der Profit längst nicht mehr das alleinige Unternehmensziel sein kann. Insbesondere dann, wenn es um den nachhaltigen Erfolg des Unternehmens geht.
Walter Eucken und die Interdependenz der Ordnungen
Haltung kostet jedoch. Und der Preis für politisches Rückgrat kann hoch sein, wie Boykottaufrufe gegen die schwedische Modekette H&M in China zeigen. Aber auch Schweigen kostet. In einer marktwirtschaftlichen Ordnung können Unternehmen nur florieren, wenn auch in der anderen Teilordnung der Gesellschaft Freiheit und Demokratie herrschen.
Gerade deutsche Manager berufen sich in wirtschaftspolitischen Fragen gern auf „ihre“ Ordoliberalen, um eine vermeintliche Trennung von Wirtschaft und Staat zu rechtfertigen. Walter Euckens Gedanken von der „Interdependenz der Ordnungen“ zeigen jedoch, dass diese Trennung nicht nur eine Illusion ist. Das Gegenteil ist richtig: Politik und Wirtschaft bedingen einander.
Die 100 Aufrechten von Corporate America haben das erkannt. Sie sollten auch all jenen Managern Mut machen, die sich bei ähnlichen Gewissensentscheidungen noch schwertun. Etwa, wenn es darum geht, ob man bei Zwangsarbeit von Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang weggucken darf. Oder ob Menschenrechte wie die freie Meinungsäußerung dem kurzfristigen Profit geopfert werden dürfen.
Nachhaltig ist der Erfolg eines Unternehmens nur, wenn es für seine inneren Werte auch nach außen geradesteht.
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