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Kommentar – Der ChefökonomWir überschätzen die Macht der Notenbanker als Inflationsbekämpfer

Überall auf der Welt steigen die Verbraucherpreise, doch die Notenbanken können wenig gegen den Preisauftrieb tun, analysiert Bert Rürup. 08.10.2021 - 04:00 Uhr Artikel anhören

Die Preise steigen drastisch. Warum greifen die Notenbanken bisher nicht ein?

Foto: dpa

In der Welt der Geldpolitik galt Inflation ab den 1960er-Jahren „immer und überall als ein monetäres Phänomen“, wie es der spätere Ökonomie-Nobelpreisträger Milton Friedman 1963 in einem Vortrag in Indien ausdrückte.

Er glaubte, herausgefunden zu haben, dass Anstiege des Preisniveaus letztlich nichts mit aggressiven Gewerkschaften, gewinnmaximierenden Unternehmern oder Ölkartellen zu tun haben.

„Wenn man das Wachstum der Geldmenge kontrolliert, dann kontrolliert man die Inflation“, wie Friedman sich ausdrückte. Inflation sei letztlich immer das Ergebnis einer schlechten, sprich zu laschen Geldpolitik – was heute angesichts kräftig steigender Verbraucherpreise und negativer Sparzinsen gerade viele Deutsche spontan unterschreiben würden.

Zur Fundierung seines eingangs zitierten Mantras bemühte Friedman die Quantitätsgleichung, nach der die Geldmenge multipliziert mit der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes stets dem Preisniveau multipliziert mit der durchschnittlichen Anzahl der in einer Periode stattfindenden Transaktionen entspricht.

Unterstellt man, dass Handelsvolumen und Umlaufgeschwindigkeit konstant sind, dann wird das Preisniveau einzig und allein von der Geldmenge und damit der Notenbank beeinflusst. Stabile Preise erfordern daher nur eine Kontrolle des Geldmengenwachstums, predigte Friedman.

Nun mag dieser simple Zusammenhang in den meist noch stark binnenorientierten Volkswirtschaften der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre eine gewisse Relevanz gehabt haben. Doch heute muss hinter der These, die großen Notenbanken hätten es in der Hand, über eine an der Geldmenge ansetzende Politik die Inflation auch nur halbwegs genau steuern zu können, ein großes Fragezeichen gemacht werden.

Und wenngleich immer noch eine Reihe von Wirtschaftsprofessoren und Journalisten der Geldmengenentwicklung eine große Bedeutung beimessen, so gibt es seit geraumer Zeit keine Notenbank mehr, die diesem Konzept folgt. Vielmehr ist es heute erklärtes Ziel, die Inflationserwartungen zu steuern – und so die tatsächliche Teuerung im Zaum halten zu können.

Sicher, auf den ersten Blick ist es den großen Notenbanken gelungen, die hohen Inflationsraten der 1970er mit aggressiven Zinserhöhungen nachhaltig zu drücken und vier Jahrzehnte lang für recht niedrige Teuerungsraten in den Industrieländern zu sorgen.

Allerding ist es nicht so klar, welchen Anteil die Notenbanken an dieser Welt der stabilen Preise trotz kräftigen Wirtschaftswachstums tatsächlich hatten – und welchen Anteil ganz andere Faktoren.

Denn in den vergangenen Jahrzehnten wurden viele Konsumgüter infolge der Integration des einstigen Ostblocks sowie Chinas und anderer aufstrebender Schwellenländer in den Welthandel immer billiger.

Gleichzeitig stiegen in den meisten Industrieländern die Löhne moderat, da die Arbeitgeber glaubhaft mit Produktionsverlagerungen in Niedriglohnländer drohen konnten. Zudem wurden viele ehemals analoge Produkte durch billigere digitale Produkte ersetzt.

Doch diese Ära niedriger Preissteigerungen und flacher Lohnentwicklung könnte sich nun ihrem Ende zuneigen. Zum einen sind die Löhne in China und anderen exportstarken asiatischen Ländern spürbar gestiegen. Weitere Preissenkungen über Importe sind daher nicht zu erwarten.

Außerdem ist – wie es die Industrie gerade schmerzlich erlebt – Europa bei Halbleitern von Lieferungen aus Fernost abhängig. Solche Abhängigkeiten schaffen Spielraum für dauerhafte Preiserhöhungen seitens der Lieferanten.

Hinzu kommt, dass die wirtschaftlichen Supermächte auf beiden Seiten des Pazifiks die Vorteile der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung und des freien Welthandels zunehmend in Zweifel ziehen und zu protektionistischen Maßnahmen greifen.

China scheint sich unter dem Deckmantel der Coronabekämpfung weiter gegenüber dem Ausland abzuschotten, während die USA offenbar an den gegen Peking verhängten Strafzöllen festhalten wollen. Auch US-Präsident Joe Biden ist keineswegs ein großer Verfechter des Freihandels.

Und so dürfte auch die amtierende US-Regierung, falls nötig, die gesamte Palette an Instrumenten nutzen, um die Interessen der USA, der Wirtschaft des Landes und der dort Beschäftigten durchzusetzen. Im Klartext: Neue Strafzölle gelten in Washington als eine denkbare Option. Weitere Handelshemmnisse würden jedoch nicht nur das Wirtschaftswachstum dämpfen, sondern auch zu höheren Preisen führen.

Darüber hinaus altert die Weltbevölkerung. Lag 1990 das globale Medianalter bei 24 Jahren, liegt es heute bereits bei 31 Jahren und könnte (laut UN-Prognose bei mittlerer Fertilität) im Jahr 2100 bei 42 Jahren liegen.

Die irreversible massive Bevölkerungsalterung in Deutschland und anderen europäischen Staaten wird den Fachkräftemangel verstärken und damit sicher zu steigenden Löhnen und steigenden Preisen führen.

Prof. Bert Rürup ist Präsident des Handelsblatt Research Institute (HRI) und Chefökonom des Handelsblatts. Er war viele Jahre Mitglied und Vorsitzender des Sachverständigenrats sowie Berater mehrerer Bundesregierungen und ausländischer Regierungen. Mehr zu seiner Arbeit und seinem Team unter research.handelsblatt.com.

Foto: Handelsblatt

Es spricht mithin manches dafür, dass sich die Ära sehr niedriger Preisniveauerhöhungen einem Ende zuneigt, und zwar unabhängig davon, ob die wichtigen Notenbanken ihre seit geraumer Zeit eingeschlagene ultraleichte Geldpolitik fortsetzen oder allmählich aus dieser Politik aussteigen.

Ob der Leitzins in Europa null oder drei Prozent beträgt, wird also keinen relevanten Einfluss darauf haben, wie sich hierzulande Preise etwa für Unterhaltungselektronik made in Fernost oder für Rohstoffe auf den Weltmärkten entwickeln. Gegen solche Preisausschläge sind die Notenbanken machtlos.

Doch Geldpolitik ist nicht nur machtlos gegen eine demografisch bedingte oder importierte Inflation; eine restriktive, strikt an der Geldwertstabilität orientierte Geldpolitik kann sogar mit Blick auf den Klimawandel große ökologische Schäden anrichten.

Denn das erklärte und richtige Ziel der meisten Industrieländer ist es, dem Klimawandel durch einen deutlich geringeren Ausstoß des Klimagases CO2 zu begegnen. Dies soll über höhere Preise für fossile Energieträger geschehen.

Preisanstieg bei Energie erwünscht

Über Preiserhöhungen sollen marktwirtschaftliche Anreize zum Energiesparen und zum Umstieg auf erneuerbare Energien gesetzt werden. Die damit verbundene spürbare Teuerung ist ausdrücklich erwünscht. Soll das Kalkül einer auf Klimaschutz durch CO2-Steuern oder Emissionshandel ausgerichteten Politik aufgehen, muss es zu merklichen Preissteigerungen bei sehr vielen Produkten kommen, nicht zuletzt durch steigende Herstellungs- und Transportkosten.

Dies wäre eine im Interesse von Verhaltensänderungen der Verbraucher politisch erwünschte Teuerung. Dass die Geldpolitik darauf nicht mit Leitzinsanhebungen antworten sollte, liegt auf der Hand.

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Doch was wäre, wenn die steigenden Energiekosten dazu führten, dass die Gewerkschaften kräftige Lohnerhöhungen als Inflationsausgleich durchsetzten? Eigentlich wäre der Beginn einer solchen Lohn-Preis-Spirale ein klares Signal zum geldpolitischen Gegensteuern.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das Mandat der Notenbanken wirklich noch zeitgemäß ist. Wie soll eine Notenbank ein feststehendes Inflationsziel verfolgen, wenn die Politik selbst ganz bewusst eine Vielzahl von Gütern kontinuierlich deutlich verteuern will?

Mehr: Unterschätzte Inflation: Warum die Preise immer stärker steigen

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