Kommentar Der digitale Euro verdient eine gesunde Skepsis

Moderne Technik allein ist kein Argument für den Nutzen.
Er ist modern, er ist digital, er steht für Innovation: der digitale Euro. Aber er ist auch kompliziert, bringt Risiken für die Stabilität des Finanzsystems mit sich – und noch sind viele Fragen zu dem Thema offen.
Die Kernfrage lautet: Wozu brauchen wir den digitalen Euro überhaupt? Eine gängige Argumentation ist: Der Gebrauch von Bargeld nimmt ab. Und wenn dann so gut wie keine Euro-Scheine mehr benutzt werden, bekommen die Bürger gar kein direkt von der Zentralbank ausgegebenes Geld mehr zu sehen. Sie wären dann vollständig auf das von den Geschäftsbanken geschaffene Buchgeld angewiesen. Also, heißt es, muss ein Ersatz in elektronischer Form her.
Aber diese Argumentation verdient gesunde Skepsis. Erstens ist fraglich, ob das Bargeld tatsächlich verschwindet – in Deutschland zum Beispiel genießt es beinahe Kultstatus. Zweitens: Selbst wenn es verschwinden sollte, liegt das ja daran, dass man es nicht mehr benötigt – und warum sollte man dann für Ersatz sorgen? Den meisten Bürgern dürfte es egal sein, ob die Zentralbank ihr Geld sichert oder ein staatlich unterstützter Einlagensicherungsfonds.
Hinzu kommt: Wahrscheinlich wird es eine recht enge Obergrenze für den privaten Besitz des digitalen Euros geben, weil sonst bei einer Finanzkrise zu schnell Bankeinlagen umgewandelt werden könnten, was die Geldhäuser zum Einsturz bringen würde. Aber muss man, um zum Beispiel 3000 Euro Zentralbankgeld für jeden Bürger bereitzustellen, tatsächlich eine Revolution einleiten? Hinzu kommt: Wahrscheinlich funktioniert das System nur, wenn ab der Obergrenze der D-Euro automatisch aufs normale Konto umgebucht wird. Aber was soll das für Zentralbankgeld sein, das automatisch in Buchgeld umgewandelt werden kann? Außerdem stellt sich die Frage, ob sich nicht manche Bürger der Obergrenze für Privatleute entziehen, indem sie ihre digitalen Euro auf einem Geschäftskonto parken.
Die Amerikaner warten ab
Es gibt noch mehr gängige, aber wenig überzeugende Argumente für den digitalen Euro. Manche Politiker träumen, damit könne die Rolle des Euros gestärkt und damit auch die Gefahr gemindert werden, von den USA mit Sanktionen unter Druck gesetzt zu werden. Aber die Stärke der USA sind ihre beinahe unerschöpflichen Kapitalmärkte. Wenn Europa da mithalten will, muss es eine Menge tun. Ein digitaler Euro dürfte dabei keine prominente Rolle spielen. Die Amerikaner selbst wissen sehr gut, dass sie keinen digitalen Dollar brauchen, um ihre dominante Position zu behalten. Sie werden möglicherweise erst einmal abwarten, was bei dem europäischen Experiment herauskommt, bevor sie nachziehen – oder es bleiben lassen.
Zudem geht die Angst um, eine chinesische Digitalwährung oder private Kryptowährungen könnten zu viel Gewicht in Europa bekommen. Hier ist mehr Selbstbewusstsein angebracht: Die Europäer werden ihr Geld schon nicht der chinesischen Zentralbank anvertrauen. Und Bitcoin und Co. haben zwar etwas an Bedeutung in der Vermögensverwaltung gewonnen, spielen aber im Zahlungsverkehr keine Rolle. Es ist auch nicht absehbar, dass sich daran etwas ändert.
Die Kernfrage muss also immer wieder gestellt und auch beantwortet werden: Wozu soll digitales Geld nützen? In China spielt wahrscheinlich eine Rolle, dass der Staat möglichst viel Kontrolle über das Finanzsystem haben und zugleich den Einfluss der großen Tech-Konzerne zurückdrängen will, die den bargeldlosen Zahlungsverkehr ja schon weitgehend perfektioniert haben. Für Europa ergibt diese Zielsetzung keinen Sinn. Deswegen gibt es in dem Punkt auch keinen Grund zur Sorge, als Nachzügler gegenüber China zurückzufallen – in anderen Bereichen der Digitalisierung mag das ganz anders aussehen.
Spannend ist der Einsatz in der Industrie
Das heißt nicht, dass digitales Geld kein spannendes Thema ist. Interessant wird es dann, wenn es etwas kann, was normales Geld nicht vermag. Für den privaten Gebrauch könnten das zum Beispiel mehr oder minder automatische Mikrozahlungen, etwa für die Nutzung bestimmter Web-Angebote sein. Bedeutend ist das Thema aber für den geschäftlichen Bereich. Eine immer weiter vernetzte und automatisierte Industrie könnte mit „smartem“ Geld so arbeiteten, dass auch Zahlungen weitgehend automatisiert werden. Das Thema betrifft Deutschland mit seiner starken Industrie besonders. Letztlich ist dort der Zahlungsverkehr eingebettet in eine umfassende Digitalisierung, die zum Beispiel auch die zunehmende Erfassung und intelligente Auswertung von großen Datenmengen umfasst.
Aber für den Einsatz bei Mikrozahlungen oder in der Industrie braucht es kein Digitalgeld vom Staat. Die Banken sehen daher hier ein spannendes Geschäftsfeld. Die Frage, welche technischen Konzepte dabei umgesetzt werden, inwieweit neue Strukturen geschaffen oder alte ergänzt werden – das ließe sich durch innovative Ideen der Privatwirtschaft klären: auf dem Wege einer Evolution statt einer Revolution.
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