Kommentar: Der Fall Wirecard ist eine Zäsur für Wirtschaftsprüfer

Der Fall Wirecard stellt für Wirtschaftsprüfer eine Zäsur dar.
Jetzt geht es im Fall Wirecard um bandenmäßigen Betrug. Die Staatsanwaltschaft München behauptet, dass der insolvente Zahlungsdienstleister schon seit 2015 seine Bilanzen frisiert hat. Das wirft ein schlechtes Licht auf die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young (EY). Ihnen sind die Ungereimtheiten nicht aufgefallen.
EY nimmt für sich in Anspruch, einem der größten Betrugsskandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte aufgesessen zu sein. Aber die EY-Prüfer haben ihrer Branche einen Bärendienst erwiesen.
Es gibt kaum einen Wirtschaftsskandal, bei dem es nicht auch um Testate der jeweiligen Bilanzexperten geht. Bundesfinanzminister Olaf Scholz legt jetzt den Finger auf die Wunde und fordert Reformen.
Das mag auch ein Ablenkungsmanöver sein, um im Wirecard-Skandal in die Offensive zu kommen. Denn für die Regulierung der Wirtschaftsprüfer ist er nicht zuständig. Aber in der Sache hat Scholz recht.
Es wird schon viele Jahre darüber diskutiert, wie man die Wirtschaftsprüfer schlagkräftiger machen kann. Eines ihrer Grundprobleme ist, dass sie von ihren Auftraggebern abhängig sind.
Forensisches Gutachten
Sie müssen zwar qua Gesetz eine kritische Distanz wahren, aber sollten sie zu genau hingucken, müssen sie immer fürchten, den Auftrag zu verlieren. Keiner hat den Stein der Weisen, wie man hier zu mehr Unabhängigkeit kommt. Es gibt aber mehrere Hebel, an denen man ansetzen könnte.
Das eine ist die Rotation der Wirtschaftsprüfer. Bei Banken und Versicherungen liegt sie heute schon bei zehn Jahren. Bei allen anderen großen Aktiengesellschaften ist das erst bei über 20 Jahren der Fall. Wer weiß, ob eine Prüferrotation den Fall Wirecard verhindert hätte.
Vielleicht wäre die Sache aber im Zuge eines Prüferwechsels aufgeflogen. Es bedurfte aber eines sogenannten forensischen Gutachtens der Konkurrenz von KPMG. Bei einem forensischen Gutachten gehen die Prüfer vor wie die Kriminalpolizei und schauen sich nur die Punkte an, bei denen sie Betrug vermuten. Erst mithilfe eines solchen Gutachtens platzte die Bombe bei Wirecard.

Der Zahlungsdienstleister ist inzwischen insolvent.
Es wäre also eine Überlegung wert, dass von den großen Unternehmen alle drei bis fünf Jahre ein forensisches Gutachten verlangt wird. Das würde aber das Verhältnis von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und etwa den Dax-Unternehmen vollständig verändern, da eine derartige Regelung die 30 größten deutschen Unternehmen unter einen Generalverdacht stellen würde.
Das muss die Politik abwägen. Ein weiterer großer Reformschritt wäre eine striktere Trennung von Prüfungs- und Beratungsleistungen. Heute dient die Wirtschaftsprüfung oft nur noch als Eintrittskarte für das lukrative Beratungsgeschäft. Es gilt der alte Spruch: Die Wirtschaftsprüfer sind ausgebildet wie Rennpferde, zum Schluss arbeiten sie wie Ackergäule.
Das Examen der Wirtschaftsprüfer gilt als eine der schwersten und anspruchsvollsten Qualifizierungen Deutschlands. Daraus ziehen sie auch ihr Standesbewusstsein. Die spätere Tätigkeit führt dann aber auch manchmal zu Magengeschwüren, weil sie so viel Ärger bei ihrem Auftraggeber runterschlucken müssen.
Die Gewichte bei den Wirtschaftsprüfern haben sich durch die Verflechtung von Beratung und Prüfung längst verschoben. Die Umsatzbringer aus der Beratung haben im Kampf um die Ressourcen innerhalb des Unternehmens komparative Vorteile.
In Großbritannien wurde Beratung und Prüfung schon strikt getrennt. Jetzt geht natürlich in Deutschland branchenintern die Furcht um, dass es hier auch passiert. Die „Big Four“ der Prüferbranche, die vielen anderen Unternehmen gerne empfehlen, ihr Geschäftsmodell zu ändern, wollen ihr eigenes am liebsten beibehalten. Der Druck aus der Politik wird auf jeden Fall steigen.
Laxe Regeln
Deutschland hat übrigens unter dem früheren Bundesjustizminister Heiko Maas alle rechtlichen Möglichkeiten ausgenutzt, die Geschäftsinteressen der Wirtschaftsprüfer zu schützen. Hätte Heiko Maas die EU-Regeln eins zu eins umgesetzt, würden heute schon die Prüfer in allen großen Gesellschaften nach zehn Jahren rotieren, und es gäbe auch viel schärfere Regelungen beim Thema Prüfung und Beratung.
Dass Olaf Scholz hier eine Kehrtwende vollziehen möchte, ist nachvollziehbar. Scholz wird sicherlich auch Vorschläge machen, die über die Wirtschaftsprüfer hinausgehen. Diese waren höchstens ein Teil des Problems.
Die Finanzaufsicht Bafin hat total versagt. Sie will sich zwar hinter den Wirtschaftsprüfern verstecken, aber es hat sie niemand daran gehindert, mal selbst bei Wirecard hinzuschauen.
Im Gegenteil: In der Öffentlichkeit konnte der Eindruck entstehen, dass durch das Leerverkaufsverbot im Februar 2019 Wirecard geschützt werden sollte. Auch die Strafanzeigen gegen Journalisten verstärkten diesen Eindruck.
Ob die Bafin den vielfältigen Hinweisen auf Betrug bei Wirecard nachgegangen ist, bleibt immer noch eines der größten Rätsel in diesem Skandal. Wenn Scholz nun die Bafin zu einer „Superbehörde“ nach dem Vorbild der amerikanischen Börsenpolizei SEC umbauen will, dann springt er zu kurz.
Untersuchungsausschuss kommt
Er müsste das in einer europäischen Dimension machen. Davor schreckt Scholz zurück. Während er sonst gern gesamteuropäisch denkt, bleibt er hier Nationalstaatler.
Doch bevor der mögliche SPD-Kanzlerkandidat mit seinen Reformvorschlägen in die Offensive kommen kann, muss erst einmal die Defensive stehen. Eine Parteifreundin hat bereits einen Untersuchungsausschuss ins Spiel gebracht.





